ist befremdend, Fehlschlagung erregend, wenn man nach langer, langer Erwartung an das Ge- stade tritt. Und an dieses Gestade! das ödeste, von jeder schaffenden Kraft entblösseste! An ei- nem Felsenufer, unter herabneigenden Tannen, in Camoens Höhle, am Gestade, wo Ossian sang, mag die erhabene Erde im Gegensatz des mächti- gen Gewässers ein überraschendes Bild darstellen. Aber trau' der Fehlschlagung dieses holländischen Ufers nicht, wenn du mit empfänglichem Herzen und beweglichem Geiste diesen Strand betrittst. -- Oft, wenn ich unter euch saß, und durch den Zu- fall veranlaßt, wie Ulysses, meine vielfachen Wan- derungen erzählte, sagte ich lachend: Das Welt- meer müste ich noch sehen, dann wollte ich meinen Wanderstab im Tempel der heitern Ergebung auf- hängen, und, nur von euren Armen gestützt, den freundlichen Genius mit der gesenkten Fackel er- warten.
Nun stand ich an dem Gestade des Weltmeers. Rechts und links dehnt sich ein unabsehbares Ufer aus, das bald in den Wellen untergeht -- alles ein nackter, todter Sand! die mässigen Hügel, die er bildet, entziehen allenthalben den Anblick des bebauten Landes, den Anblick schaffender
iſt befremdend, Fehlſchlagung erregend, wenn man nach langer, langer Erwartung an das Ge- ſtade tritt. Und an dieſes Geſtade! das oͤdeſte, von jeder ſchaffenden Kraft entbloͤſſeſte! An ei- nem Felſenufer, unter herabneigenden Tannen, in Camoens Hoͤhle, am Geſtade, wo Oſſian ſang, mag die erhabene Erde im Gegenſatz des maͤchti- gen Gewaͤſſers ein uͤberraſchendes Bild darſtellen. Aber trau’ der Fehlſchlagung dieſes hollaͤndiſchen Ufers nicht, wenn du mit empfaͤnglichem Herzen und beweglichem Geiſte dieſen Strand betrittſt. — Oft, wenn ich unter euch ſaß, und durch den Zu- fall veranlaßt, wie Ulyſſes, meine vielfachen Wan- derungen erzaͤhlte, ſagte ich lachend: Das Welt- meer muͤſte ich noch ſehen, dann wollte ich meinen Wanderſtab im Tempel der heitern Ergebung auf- haͤngen, und, nur von euren Armen geſtuͤtzt, den freundlichen Genius mit der geſenkten Fackel er- warten.
Nun ſtand ich an dem Geſtade des Weltmeers. Rechts und links dehnt ſich ein unabſehbares Ufer aus, das bald in den Wellen untergeht — alles ein nackter, todter Sand! die maͤſſigen Huͤgel, die er bildet, entziehen allenthalben den Anblick des bebauten Landes, den Anblick ſchaffender
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iſt befremdend, Fehlſchlagung erregend, wenn
man nach langer, langer Erwartung an das Ge-
ſtade tritt. Und an dieſes Geſtade! das oͤdeſte,
von jeder ſchaffenden Kraft entbloͤſſeſte! An ei-
nem Felſenufer, unter herabneigenden Tannen, in
Camoens Hoͤhle, am Geſtade, wo Oſſian ſang,
mag die erhabene Erde im Gegenſatz des maͤchti-
gen Gewaͤſſers ein uͤberraſchendes Bild darſtellen.
Aber trau’ der Fehlſchlagung dieſes hollaͤndiſchen
Ufers nicht, wenn du mit empfaͤnglichem Herzen
und beweglichem Geiſte dieſen Strand betrittſt. —
Oft, wenn ich unter euch ſaß, und durch den Zu-
fall veranlaßt, wie Ulyſſes, meine vielfachen Wan-
derungen erzaͤhlte, ſagte ich lachend: Das Welt-
meer muͤſte ich noch ſehen, dann wollte ich meinen
Wanderſtab im Tempel der heitern Ergebung auf-
haͤngen, und, nur von euren Armen geſtuͤtzt, den
freundlichen Genius mit der geſenkten Fackel er-
warten.
Nun ſtand ich an dem Geſtade des Weltmeers.
Rechts und links dehnt ſich ein unabſehbares Ufer
aus, das bald in den Wellen untergeht — alles
ein nackter, todter Sand! die maͤſſigen Huͤgel,
die er bildet, entziehen allenthalben den Anblick
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/355>, abgerufen am 24.11.2024.
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