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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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doch wohl nicht gegründet gewesen seyn. Der Ka-
nal, auf dem das unselige Fahrzeug lag, geht
jetzt fast durch die Mitte des neu angelegten Spa-
zierganges.

Die alte Burg gewährte mir eine angenehme
halbe Stunde, in der ich, von den Umgebungen
veranlaßt, Vorwelt und Gegenwart vor meinem
Geiste vorbeiführte. Es ist nichts mehr von ihr übrig,
als die Ringmauer, deren Gestalt fast einen zu
regelmäßigen Zirkel beschreibt, um die ehemalige
Form zu bezeichnen. -- Wie dem aber sey, so
beweist die erhöhte Lage und die sehr massive Grund-
mauer, daß hier die alte Burg lag. Jakoba von
Bayern, die Vielliebende, von der ich euch in ei-
nem meiner Briefe allerlei erzählte, bewohnte sie
oft. Ich blickte aus dem Mauerzimmer, wo man
gegen Nordwest bis aufs Harlemmer Meer sieht,
auf dem ich auf dem dunkeln Hintergrunde eines
wolkigen Herbsthimmels weiße Seegel gleiten sah.
Dorthin mochte auch wohl Jakoba oft ihren Blick
richten, wenn die Stürme der Zeit ihre Zukunft
trübten. Wenn die Gegenstände um uns beunru-
higend und fremd sind, blicken wir am forschend-
sten in die Ferne, so wie wir, wenn die Erde uns
nicht mehr genügt, am sehnsüchtigsten gen Himmel

doch wohl nicht gegruͤndet geweſen ſeyn. Der Ka-
nal, auf dem das unſelige Fahrzeug lag, geht
jetzt faſt durch die Mitte des neu angelegten Spa-
zierganges.

Die alte Burg gewaͤhrte mir eine angenehme
halbe Stunde, in der ich, von den Umgebungen
veranlaßt, Vorwelt und Gegenwart vor meinem
Geiſte vorbeifuͤhrte. Es iſt nichts mehr von ihr uͤbrig,
als die Ringmauer, deren Geſtalt faſt einen zu
regelmaͤßigen Zirkel beſchreibt, um die ehemalige
Form zu bezeichnen. — Wie dem aber ſey, ſo
beweiſt die erhoͤhte Lage und die ſehr maſſive Grund-
mauer, daß hier die alte Burg lag. Jakoba von
Bayern, die Vielliebende, von der ich euch in ei-
nem meiner Briefe allerlei erzaͤhlte, bewohnte ſie
oft. Ich blickte aus dem Mauerzimmer, wo man
gegen Nordweſt bis aufs Harlemmer Meer ſieht,
auf dem ich auf dem dunkeln Hintergrunde eines
wolkigen Herbſthimmels weiße Seegel gleiten ſah.
Dorthin mochte auch wohl Jakoba oft ihren Blick
richten, wenn die Stuͤrme der Zeit ihre Zukunft
truͤbten. Wenn die Gegenſtaͤnde um uns beunru-
higend und fremd ſind, blicken wir am forſchend-
ſten in die Ferne, ſo wie wir, wenn die Erde uns
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[315/0329] doch wohl nicht gegruͤndet geweſen ſeyn. Der Ka- nal, auf dem das unſelige Fahrzeug lag, geht jetzt faſt durch die Mitte des neu angelegten Spa- zierganges. Die alte Burg gewaͤhrte mir eine angenehme halbe Stunde, in der ich, von den Umgebungen veranlaßt, Vorwelt und Gegenwart vor meinem Geiſte vorbeifuͤhrte. Es iſt nichts mehr von ihr uͤbrig, als die Ringmauer, deren Geſtalt faſt einen zu regelmaͤßigen Zirkel beſchreibt, um die ehemalige Form zu bezeichnen. — Wie dem aber ſey, ſo beweiſt die erhoͤhte Lage und die ſehr maſſive Grund- mauer, daß hier die alte Burg lag. Jakoba von Bayern, die Vielliebende, von der ich euch in ei- nem meiner Briefe allerlei erzaͤhlte, bewohnte ſie oft. Ich blickte aus dem Mauerzimmer, wo man gegen Nordweſt bis aufs Harlemmer Meer ſieht, auf dem ich auf dem dunkeln Hintergrunde eines wolkigen Herbſthimmels weiße Seegel gleiten ſah. Dorthin mochte auch wohl Jakoba oft ihren Blick richten, wenn die Stuͤrme der Zeit ihre Zukunft truͤbten. Wenn die Gegenſtaͤnde um uns beunru- higend und fremd ſind, blicken wir am forſchend- ſten in die Ferne, ſo wie wir, wenn die Erde uns nicht mehr genuͤgt, am ſehnſuͤchtigſten gen Himmel

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/329>, abgerufen am 24.11.2024.