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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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noch, und das schöne Gras der kleinen Insel näh-
ret noch ihre Heerde. Sie gehört aber Privatleu-
ten. Der Hafen kam mir jetzt lebhafter, das
Ufer mit mehreren Schiffen bedeckt vor, als ich
es ehemals bei einem vierjährigen Aufenthalte in
Mainz sah. Meine Blicke suchten den zerstörten
Dom -- dessen Kuppel ich, auf falsche Berichte
hin, für [a]ngeschossen hielt. Wie sehr ward ich
überrascht, ihn wieder zu finden, dem Aeußern
nach ganz unversehrt, die beiden kleinen Thürm-
chen an dem entgegengesetzten Ende der Kirche sind
eingeschossen, aber mein großer majestätischer
Thurm, von dem ich oft die Strahlen der Abend-
sonne zurückstrahlen sah, auf dem so oft mein
Blick ruhte, wenn ich im Mondenglanze von mei-
nen späten Wanderungen zurück kam -- mein
ernster Thurm stand noch! Wie ich diese Kirche
zum ersten Male besuchte. war Frohuleichuamsfest
-- ist es nicht ein eignes Schicksal, daß von sechs
Menschen, die wir damals, alle in der Jugend-
blüthe, dieses für uns fremde Fest besuchten, nach
neunzehn Jahren niemand mehr lebt, als ich al-
lein? -- Es war Frohnleichnam, die Kirche duf-
tete von den emporsteigenden Weihrauchwolken,
die Sonne strahlte blendend auf die reiche Mon-

noch, und das ſchoͤne Gras der kleinen Inſel naͤh-
ret noch ihre Heerde. Sie gehoͤrt aber Privatleu-
ten. Der Hafen kam mir jetzt lebhafter, das
Ufer mit mehreren Schiffen bedeckt vor, als ich
es ehemals bei einem vierjaͤhrigen Aufenthalte in
Mainz ſah. Meine Blicke ſuchten den zerſtoͤrten
Dom — deſſen Kuppel ich, auf falſche Berichte
hin, fuͤr [a]ngeſchoſſen hielt. Wie ſehr ward ich
uͤberraſcht, ihn wieder zu finden, dem Aeußern
nach ganz unverſehrt, die beiden kleinen Thuͤrm-
chen an dem entgegengeſetzten Ende der Kirche ſind
eingeſchoſſen, aber mein großer majeſtaͤtiſcher
Thurm, von dem ich oft die Strahlen der Abend-
ſonne zuruͤckſtrahlen ſah, auf dem ſo oft mein
Blick ruhte, wenn ich im Mondenglanze von mei-
nen ſpaͤten Wanderungen zuruͤck kam — mein
ernſter Thurm ſtand noch! Wie ich dieſe Kirche
zum erſten Male beſuchte. war Frohuleichuamsfeſt
— iſt es nicht ein eignes Schickſal, daß von ſechs
Menſchen, die wir damals, alle in der Jugend-
bluͤthe, dieſes fuͤr uns fremde Feſt beſuchten, nach
neunzehn Jahren niemand mehr lebt, als ich al-
lein? — Es war Frohnleichnam, die Kirche duf-
tete von den emporſteigenden Weihrauchwolken,
die Sonne ſtrahlte blendend auf die reiche Mon-

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[18/0032] noch, und das ſchoͤne Gras der kleinen Inſel naͤh- ret noch ihre Heerde. Sie gehoͤrt aber Privatleu- ten. Der Hafen kam mir jetzt lebhafter, das Ufer mit mehreren Schiffen bedeckt vor, als ich es ehemals bei einem vierjaͤhrigen Aufenthalte in Mainz ſah. Meine Blicke ſuchten den zerſtoͤrten Dom — deſſen Kuppel ich, auf falſche Berichte hin, fuͤr angeſchoſſen hielt. Wie ſehr ward ich uͤberraſcht, ihn wieder zu finden, dem Aeußern nach ganz unverſehrt, die beiden kleinen Thuͤrm- chen an dem entgegengeſetzten Ende der Kirche ſind eingeſchoſſen, aber mein großer majeſtaͤtiſcher Thurm, von dem ich oft die Strahlen der Abend- ſonne zuruͤckſtrahlen ſah, auf dem ſo oft mein Blick ruhte, wenn ich im Mondenglanze von mei- nen ſpaͤten Wanderungen zuruͤck kam — mein ernſter Thurm ſtand noch! Wie ich dieſe Kirche zum erſten Male beſuchte. war Frohuleichuamsfeſt — iſt es nicht ein eignes Schickſal, daß von ſechs Menſchen, die wir damals, alle in der Jugend- bluͤthe, dieſes fuͤr uns fremde Feſt beſuchten, nach neunzehn Jahren niemand mehr lebt, als ich al- lein? — Es war Frohnleichnam, die Kirche duf- tete von den emporſteigenden Weihrauchwolken, die Sonne ſtrahlte blendend auf die reiche Mon-

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/32>, abgerufen am 24.11.2024.