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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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sehr unwillkührlich ein großes Kompliment. Sie
stand am geschloßnen Fenster, als ein kleiner
Schmetterling ihr über das Halstuch lief, sie woll-
te ihn zum Fenster hinauswerfen, und fuhr mit
der Hand an die Fensterscheibe, die sie, ihrer voll-
kommnen Reinheit wegen, vor die blaue Luft ge-
halten hatte.

Ich habe euch nun die Eindrücke geschildert,
welche der erste Anblick dieses Landes auf mich
machte. In meinen nächsten Briefen werdet ihr
beobachten können, wie sie sich durch nähere An-
sicht der Gegenstände und gewohnten Umgang
modificiren. Alles weicht hier von unsern Sitten
ab. -- Das stört mich nie, denn ich lebte unter
so verschiednen Menschen, in so verschiednen Län-
dern, daß ich mich ohne alle Mühe an neue Sit-
ten gewöhne -- allein die leblosen Gegenstände
tragen hier überall das Gepräge des Menschen-
werks. Gestern Abend drang sich mir das so drük-
kend auf, daß ich aus dem Sallon unter den freien
Himmel lief, um, zum Sternenheer aufstaunend,
eines Anblicks zu genießen, der Gott allein aus-
sprach. -- --




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ſehr unwillkuͤhrlich ein großes Kompliment. Sie
ſtand am geſchloßnen Fenſter, als ein kleiner
Schmetterling ihr uͤber das Halstuch lief, ſie woll-
te ihn zum Fenſter hinauswerfen, und fuhr mit
der Hand an die Fenſterſcheibe, die ſie, ihrer voll-
kommnen Reinheit wegen, vor die blaue Luft ge-
halten hatte.

Ich habe euch nun die Eindruͤcke geſchildert,
welche der erſte Anblick dieſes Landes auf mich
machte. In meinen naͤchſten Briefen werdet ihr
beobachten koͤnnen, wie ſie ſich durch naͤhere An-
ſicht der Gegenſtaͤnde und gewohnten Umgang
modificiren. Alles weicht hier von unſern Sitten
ab. — Das ſtoͤrt mich nie, denn ich lebte unter
ſo verſchiednen Menſchen, in ſo verſchiednen Laͤn-
dern, daß ich mich ohne alle Muͤhe an neue Sit-
ten gewoͤhne — allein die lebloſen Gegenſtaͤnde
tragen hier uͤberall das Gepraͤge des Menſchen-
werks. Geſtern Abend drang ſich mir das ſo druͤk-
kend auf, daß ich aus dem Sallon unter den freien
Himmel lief, um, zum Sternenheer aufſtaunend,
eines Anblicks zu genießen, der Gott allein aus-
ſprach. — —




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[115/0129] ſehr unwillkuͤhrlich ein großes Kompliment. Sie ſtand am geſchloßnen Fenſter, als ein kleiner Schmetterling ihr uͤber das Halstuch lief, ſie woll- te ihn zum Fenſter hinauswerfen, und fuhr mit der Hand an die Fenſterſcheibe, die ſie, ihrer voll- kommnen Reinheit wegen, vor die blaue Luft ge- halten hatte. Ich habe euch nun die Eindruͤcke geſchildert, welche der erſte Anblick dieſes Landes auf mich machte. In meinen naͤchſten Briefen werdet ihr beobachten koͤnnen, wie ſie ſich durch naͤhere An- ſicht der Gegenſtaͤnde und gewohnten Umgang modificiren. Alles weicht hier von unſern Sitten ab. — Das ſtoͤrt mich nie, denn ich lebte unter ſo verſchiednen Menſchen, in ſo verſchiednen Laͤn- dern, daß ich mich ohne alle Muͤhe an neue Sit- ten gewoͤhne — allein die lebloſen Gegenſtaͤnde tragen hier uͤberall das Gepraͤge des Menſchen- werks. Geſtern Abend drang ſich mir das ſo druͤk- kend auf, daß ich aus dem Sallon unter den freien Himmel lief, um, zum Sternenheer aufſtaunend, eines Anblicks zu genießen, der Gott allein aus- ſprach. — — H 2

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/129>, abgerufen am 21.11.2024.