drücken. Der Ton scheint mir immer das erste Leben, wie die ganze Natur noch schlief brausten die Winde, und wenn das todte Metall sich be- rührt, verkündet die Luft die erste Vereinigung zwischen verschiedenen Wesen. Und da tönt es nun oben im blauen Aether, und so wie das schwere Metall es erzeugt, entflieht es zum Him- mel empor. Und das Vielbedeutende des Tons, das Unbestimmte, daß ihm unsern Gefühl so leicht anpaßt! -- Glockenton die Sprache des Schreckens und des Triumphs, des Jammers und der Freude. Wer gern Glocken hört, stelle sich doch eines Sonntagmorgens bei heiterer Son- nenluft auf die obere Brücke in Zürich, wenn es aus der Morgenkirche läutet, oder er hätte sollen bei Kaiser Josephs Todtenfeier, die in einem No- vember statt fand, Abends zwischen sechs und sie- ben in den Bastionen vor Mainz stehen, wenn die zahllosen Glocken dieser damals Kirchenreichen Stadt die Luft erschüterten, indeß neben mir der feuchte Herbstwind wie Todesschauder die welken Blätter von einzelnen Pappeln schüttelte; oder er horche, wenn er in der Mitte der Nacht erwacht, auf das kleine Glöckchen, das zum Gebet für Kranke aufruft, die in diesem Augenblick an die
druͤcken. Der Ton ſcheint mir immer das erſte Leben, wie die ganze Natur noch ſchlief brauſten die Winde, und wenn das todte Metall ſich be- ruͤhrt, verkuͤndet die Luft die erſte Vereinigung zwiſchen verſchiedenen Weſen. Und da toͤnt es nun oben im blauen Aether, und ſo wie das ſchwere Metall es erzeugt, entflieht es zum Him- mel empor. Und das Vielbedeutende des Tons, das Unbeſtimmte, daß ihm unſern Gefuͤhl ſo leicht anpaßt! — Glockenton die Sprache des Schreckens und des Triumphs, des Jammers und der Freude. Wer gern Glocken hoͤrt, ſtelle ſich doch eines Sonntagmorgens bei heiterer Son- nenluft auf die obere Bruͤcke in Zuͤrich, wenn es aus der Morgenkirche laͤutet, oder er haͤtte ſollen bei Kaiſer Joſephs Todtenfeier, die in einem No- vember ſtatt fand, Abends zwiſchen ſechs und ſie- ben in den Baſtionen vor Mainz ſtehen, wenn die zahlloſen Glocken dieſer damals Kirchenreichen Stadt die Luft erſchuͤterten, indeß neben mir der feuchte Herbſtwind wie Todesſchauder die welken Blaͤtter von einzelnen Pappeln ſchuͤttelte; oder er horche, wenn er in der Mitte der Nacht erwacht, auf das kleine Gloͤckchen, das zum Gebet fuͤr Kranke aufruft, die in dieſem Augenblick an die
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druͤcken. Der Ton ſcheint mir immer das erſte
Leben, wie die ganze Natur noch ſchlief brauſten
die Winde, und wenn das todte Metall ſich be-
ruͤhrt, verkuͤndet die Luft die erſte Vereinigung
zwiſchen verſchiedenen Weſen. Und da toͤnt es
nun oben im blauen Aether, und ſo wie das
ſchwere Metall es erzeugt, entflieht es zum Him-
mel empor. Und das Vielbedeutende des Tons,
das Unbeſtimmte, daß ihm unſern Gefuͤhl ſo
leicht anpaßt! — Glockenton die Sprache des
Schreckens und des Triumphs, des Jammers
und der Freude. Wer gern Glocken hoͤrt, ſtelle
ſich doch eines Sonntagmorgens bei heiterer Son-
nenluft auf die obere Bruͤcke in Zuͤrich, wenn es
aus der Morgenkirche laͤutet, oder er haͤtte ſollen
bei Kaiſer Joſephs Todtenfeier, die in einem No-
vember ſtatt fand, Abends zwiſchen ſechs und ſie-
ben in den Baſtionen vor Mainz ſtehen, wenn
die zahlloſen Glocken dieſer damals Kirchenreichen
Stadt die Luft erſchuͤterten, indeß neben mir der
feuchte Herbſtwind wie Todesſchauder die welken
Blaͤtter von einzelnen Pappeln ſchuͤttelte; oder er
horche, wenn er in der Mitte der Nacht erwacht,
auf das kleine Gloͤckchen, das zum Gebet fuͤr
Kranke aufruft, die in dieſem Augenblick an die
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/116>, abgerufen am 26.11.2024.
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