Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.So wälzt von deiner Brust sie Stein um Stein, Sie schnitzt sich Pfeile und sie weiß, sie trifft, Und immer tiefer tropft sie dir ihr Gift Durchs offne Ohr ins offne Herz hinein. Du aber stehst und brütest vor dich hin Und fühlst, wie dir das Blut zu Eis gefriert, Und ehe noch der Hahn kräht, triumphirt Die dreimal zischelnde Versucherin. Vergessen hast du nun den alten Schwur, Den deine Jugend einst zum Himmel that, Durch deine Adern wühlt der Selbstverrath Und dir im Herzen thront die Unnatur. Todt ist es, todt! Dein Bauch ist dein Idol Und dein Gewissen wie dein Goldgelb rund, Du liegst im Staub und wedelst wie ein Hund Und Lüge, Lüge lacht dein Weltsymbol. Du streichst dein Kinn und zupfst an deinem Bart
Und siehst im Spiegel lächelnd dein Gesicht Und räusperst dich und merkst es selber nicht, Daß jeder Zoll an dir zum Schurken ward. So wälzt von deiner Bruſt ſie Stein um Stein, Sie ſchnitzt ſich Pfeile und ſie weiß, ſie trifft, Und immer tiefer tropft ſie dir ihr Gift Durchs offne Ohr ins offne Herz hinein. Du aber ſtehſt und brüteſt vor dich hin Und fühlſt, wie dir das Blut zu Eis gefriert, Und ehe noch der Hahn kräht, triumphirt Die dreimal ziſchelnde Verſucherin. Vergeſſen haſt du nun den alten Schwur, Den deine Jugend einſt zum Himmel that, Durch deine Adern wühlt der Selbſtverrath Und dir im Herzen thront die Unnatur. Todt iſt es, todt! Dein Bauch iſt dein Idol Und dein Gewiſſen wie dein Goldgelb rund, Du liegſt im Staub und wedelſt wie ein Hund Und Lüge, Lüge lacht dein Weltſymbol. Du ſtreichſt dein Kinn und zupfſt an deinem Bart
Und ſiehſt im Spiegel lächelnd dein Geſicht Und räusperſt dich und merkſt es ſelber nicht, Daß jeder Zoll an dir zum Schurken ward. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0449" n="427"/> <lg n="19"> <l>So wälzt von deiner Bruſt ſie Stein um Stein,</l><lb/> <l>Sie ſchnitzt ſich Pfeile und ſie weiß, ſie trifft,</l><lb/> <l>Und immer tiefer tropft ſie dir ihr Gift</l><lb/> <l>Durchs offne Ohr ins offne Herz hinein.</l><lb/> </lg> <lg n="20"> <l>Du aber ſtehſt und brüteſt vor dich hin</l><lb/> <l>Und fühlſt, wie dir das Blut zu Eis gefriert,</l><lb/> <l>Und ehe noch der Hahn kräht, triumphirt</l><lb/> <l>Die dreimal ziſchelnde Verſucherin.</l><lb/> </lg> <lg n="21"> <l>Vergeſſen haſt du nun den alten Schwur,</l><lb/> <l>Den deine Jugend einſt zum Himmel that,</l><lb/> <l>Durch deine Adern wühlt der Selbſtverrath</l><lb/> <l>Und dir im Herzen thront die Unnatur.</l><lb/> </lg> <lg n="22"> <l>Todt iſt es, todt! Dein Bauch iſt dein Idol</l><lb/> <l>Und dein Gewiſſen wie dein Goldgelb rund,</l><lb/> <l>Du liegſt im Staub und wedelſt wie ein Hund</l><lb/> <l>Und Lüge, Lüge lacht dein Weltſymbol.</l><lb/> </lg> <lg n="23"> <l>Du ſtreichſt dein Kinn und zupfſt an deinem Bart</l><lb/> <l>Und ſiehſt im Spiegel lächelnd dein Geſicht</l><lb/> <l>Und räusperſt dich und merkſt es ſelber nicht,</l><lb/> <l>Daß jeder Zoll an dir zum Schurken ward.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [427/0449]
So wälzt von deiner Bruſt ſie Stein um Stein,
Sie ſchnitzt ſich Pfeile und ſie weiß, ſie trifft,
Und immer tiefer tropft ſie dir ihr Gift
Durchs offne Ohr ins offne Herz hinein.
Du aber ſtehſt und brüteſt vor dich hin
Und fühlſt, wie dir das Blut zu Eis gefriert,
Und ehe noch der Hahn kräht, triumphirt
Die dreimal ziſchelnde Verſucherin.
Vergeſſen haſt du nun den alten Schwur,
Den deine Jugend einſt zum Himmel that,
Durch deine Adern wühlt der Selbſtverrath
Und dir im Herzen thront die Unnatur.
Todt iſt es, todt! Dein Bauch iſt dein Idol
Und dein Gewiſſen wie dein Goldgelb rund,
Du liegſt im Staub und wedelſt wie ein Hund
Und Lüge, Lüge lacht dein Weltſymbol.
Du ſtreichſt dein Kinn und zupfſt an deinem Bart
Und ſiehſt im Spiegel lächelnd dein Geſicht
Und räusperſt dich und merkſt es ſelber nicht,
Daß jeder Zoll an dir zum Schurken ward.
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