Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite
So wälzt von deiner Brust sie Stein um Stein,
Sie schnitzt sich Pfeile und sie weiß, sie trifft,
Und immer tiefer tropft sie dir ihr Gift
Durchs offne Ohr ins offne Herz hinein.
Du aber stehst und brütest vor dich hin
Und fühlst, wie dir das Blut zu Eis gefriert,
Und ehe noch der Hahn kräht, triumphirt
Die dreimal zischelnde Versucherin.
Vergessen hast du nun den alten Schwur,
Den deine Jugend einst zum Himmel that,
Durch deine Adern wühlt der Selbstverrath
Und dir im Herzen thront die Unnatur.
Todt ist es, todt! Dein Bauch ist dein Idol
Und dein Gewissen wie dein Goldgelb rund,
Du liegst im Staub und wedelst wie ein Hund
Und Lüge, Lüge lacht dein Weltsymbol.
Du streichst dein Kinn und zupfst an deinem Bart
Und siehst im Spiegel lächelnd dein Gesicht
Und räusperst dich und merkst es selber nicht,
Daß jeder Zoll an dir zum Schurken ward.
So wälzt von deiner Bruſt ſie Stein um Stein,
Sie ſchnitzt ſich Pfeile und ſie weiß, ſie trifft,
Und immer tiefer tropft ſie dir ihr Gift
Durchs offne Ohr ins offne Herz hinein.
Du aber ſtehſt und brüteſt vor dich hin
Und fühlſt, wie dir das Blut zu Eis gefriert,
Und ehe noch der Hahn kräht, triumphirt
Die dreimal ziſchelnde Verſucherin.
Vergeſſen haſt du nun den alten Schwur,
Den deine Jugend einſt zum Himmel that,
Durch deine Adern wühlt der Selbſtverrath
Und dir im Herzen thront die Unnatur.
Todt iſt es, todt! Dein Bauch iſt dein Idol
Und dein Gewiſſen wie dein Goldgelb rund,
Du liegſt im Staub und wedelſt wie ein Hund
Und Lüge, Lüge lacht dein Weltſymbol.
Du ſtreichſt dein Kinn und zupfſt an deinem Bart
Und ſiehſt im Spiegel lächelnd dein Geſicht
Und räusperſt dich und merkſt es ſelber nicht,
Daß jeder Zoll an dir zum Schurken ward.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0449" n="427"/>
          <lg n="19">
            <l>So wälzt von deiner Bru&#x017F;t &#x017F;ie Stein um Stein,</l><lb/>
            <l>Sie &#x017F;chnitzt &#x017F;ich Pfeile und &#x017F;ie weiß, &#x017F;ie trifft,</l><lb/>
            <l>Und immer tiefer tropft &#x017F;ie dir ihr Gift</l><lb/>
            <l>Durchs offne Ohr ins offne Herz hinein.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="20">
            <l>Du aber &#x017F;teh&#x017F;t und brüte&#x017F;t vor dich hin</l><lb/>
            <l>Und fühl&#x017F;t, wie dir das Blut zu Eis gefriert,</l><lb/>
            <l>Und ehe noch der Hahn kräht, triumphirt</l><lb/>
            <l>Die dreimal zi&#x017F;chelnde Ver&#x017F;ucherin.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="21">
            <l>Verge&#x017F;&#x017F;en ha&#x017F;t du nun den alten Schwur,</l><lb/>
            <l>Den deine Jugend ein&#x017F;t zum Himmel that,</l><lb/>
            <l>Durch deine Adern wühlt der Selb&#x017F;tverrath</l><lb/>
            <l>Und dir im Herzen thront die Unnatur.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="22">
            <l>Todt i&#x017F;t es, todt! Dein Bauch i&#x017F;t dein Idol</l><lb/>
            <l>Und dein Gewi&#x017F;&#x017F;en wie dein Goldgelb rund,</l><lb/>
            <l>Du lieg&#x017F;t im Staub und wedel&#x017F;t wie ein Hund</l><lb/>
            <l>Und Lüge, Lüge lacht dein Welt&#x017F;ymbol.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="23">
            <l>Du &#x017F;treich&#x017F;t dein Kinn und zupf&#x017F;t an deinem Bart</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;ieh&#x017F;t im Spiegel lächelnd dein Ge&#x017F;icht</l><lb/>
            <l>Und räusper&#x017F;t dich und merk&#x017F;t es &#x017F;elber nicht,</l><lb/>
            <l>Daß jeder Zoll an dir zum Schurken ward.</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[427/0449] So wälzt von deiner Bruſt ſie Stein um Stein, Sie ſchnitzt ſich Pfeile und ſie weiß, ſie trifft, Und immer tiefer tropft ſie dir ihr Gift Durchs offne Ohr ins offne Herz hinein. Du aber ſtehſt und brüteſt vor dich hin Und fühlſt, wie dir das Blut zu Eis gefriert, Und ehe noch der Hahn kräht, triumphirt Die dreimal ziſchelnde Verſucherin. Vergeſſen haſt du nun den alten Schwur, Den deine Jugend einſt zum Himmel that, Durch deine Adern wühlt der Selbſtverrath Und dir im Herzen thront die Unnatur. Todt iſt es, todt! Dein Bauch iſt dein Idol Und dein Gewiſſen wie dein Goldgelb rund, Du liegſt im Staub und wedelſt wie ein Hund Und Lüge, Lüge lacht dein Weltſymbol. Du ſtreichſt dein Kinn und zupfſt an deinem Bart Und ſiehſt im Spiegel lächelnd dein Geſicht Und räusperſt dich und merkſt es ſelber nicht, Daß jeder Zoll an dir zum Schurken ward.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/449
Zitationshilfe: Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/449>, abgerufen am 22.11.2024.