Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

übrig, als das Wirthshaus. 's war auch albern von
mir, zu glauben, ich würde das Nest leer finden und
mich nur gleich so hineinsetzen können. 's war eine
indirekte Beleidigung gegen den Kurator meiner
minorennen Erbschafts-Masse. Nein, solche Hotels
läßt man nicht unbesetzt. Ha ha, ich muß lachen, da
steht Anton Hahn mitten in der Hauptgasse, in den
Linden, dem Graben, den Boulevards von Liebenau,
vor seinem eigenen Palaste, und kein Hahn kräht nach
Herrn Hahn, kein Hund begrüßt ihn, kein Mensch
kennt ihn mehr! Kämpfte nicht Wehmuth mit mir,
wie mit einem schwachen Mädchen und trieb mir heiße
Thränen in's Auge, da ich die lange Dorfgasse betrat?
Und jetzt ist's wie weggeblasen, das süße, weiche
Gefühl der Heimkehr; jetzt kommt die Wirklichkeit
und schickt mich in's Wirthshaus, wo die Flegel bei
Bier und Schnaps sitzen, Karten spielen; wo sie
mich anstarren werden, wie die Kuh das neue Thor ...
und gute Nacht: süße Wehmuth, sanfter Thränenthau,
Wonne des Schmerzes; gute Nacht Alles, was Poesie
heißt. Jch bin überzeugt, wend' ich mich nach dem
Kirchhofe, um meiner Alten Grab zu sehen und auf
diesem die wohlthätige Stimmung wiederzufinden,
die ich brauche und wünsche, dann haben die Schul-

uͤbrig, als das Wirthshaus. ’s war auch albern von
mir, zu glauben, ich wuͤrde das Neſt leer finden und
mich nur gleich ſo hineinſetzen koͤnnen. ’s war eine
indirekte Beleidigung gegen den Kurator meiner
minorennen Erbſchafts-Maſſe. Nein, ſolche Hôtels
laͤßt man nicht unbeſetzt. Ha ha, ich muß lachen, da
ſteht Anton Hahn mitten in der Hauptgaſſe, in den
Linden, dem Graben, den Boulevards von Liebenau,
vor ſeinem eigenen Palaſte, und kein Hahn kraͤht nach
Herrn Hahn, kein Hund begruͤßt ihn, kein Menſch
kennt ihn mehr! Kaͤmpfte nicht Wehmuth mit mir,
wie mit einem ſchwachen Maͤdchen und trieb mir heiße
Thraͤnen in’s Auge, da ich die lange Dorfgaſſe betrat?
Und jetzt iſt’s wie weggeblaſen, das ſuͤße, weiche
Gefuͤhl der Heimkehr; jetzt kommt die Wirklichkeit
und ſchickt mich in’s Wirthshaus, wo die Flegel bei
Bier und Schnaps ſitzen, Karten ſpielen; wo ſie
mich anſtarren werden, wie die Kuh das neue Thor ...
und gute Nacht: ſuͤße Wehmuth, ſanfter Thraͤnenthau,
Wonne des Schmerzes; gute Nacht Alles, was Poeſie
heißt. Jch bin uͤberzeugt, wend’ ich mich nach dem
Kirchhofe, um meiner Alten Grab zu ſehen und auf
dieſem die wohlthaͤtige Stimmung wiederzufinden,
die ich brauche und wuͤnſche, dann haben die Schul-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0095" n="91"/>
u&#x0364;brig, als das Wirthshaus. &#x2019;s war auch albern von<lb/>
mir, zu glauben, ich wu&#x0364;rde das Ne&#x017F;t leer finden und<lb/>
mich nur gleich &#x017F;o hinein&#x017F;etzen ko&#x0364;nnen. &#x2019;s war eine<lb/>
indirekte Beleidigung gegen den Kurator meiner<lb/>
minorennen Erb&#x017F;chafts-Ma&#x017F;&#x017F;e. Nein, &#x017F;olche H<hi rendition="#aq">ô</hi>tels<lb/>
la&#x0364;ßt man nicht unbe&#x017F;etzt. Ha ha, ich muß lachen, da<lb/>
&#x017F;teht Anton Hahn mitten in der Hauptga&#x017F;&#x017F;e, in den<lb/>
Linden, dem Graben, den Boulevards von Liebenau,<lb/>
vor &#x017F;einem eigenen Pala&#x017F;te, und kein Hahn kra&#x0364;ht nach<lb/>
Herrn Hahn, kein Hund begru&#x0364;ßt ihn, kein Men&#x017F;ch<lb/>
kennt ihn mehr! Ka&#x0364;mpfte nicht Wehmuth mit mir,<lb/>
wie mit einem &#x017F;chwachen Ma&#x0364;dchen und trieb mir heiße<lb/>
Thra&#x0364;nen in&#x2019;s Auge, da ich die lange Dorfga&#x017F;&#x017F;e betrat?<lb/>
Und jetzt i&#x017F;t&#x2019;s wie weggebla&#x017F;en, das &#x017F;u&#x0364;ße, weiche<lb/>
Gefu&#x0364;hl der Heimkehr; jetzt kommt die Wirklichkeit<lb/>
und &#x017F;chickt mich in&#x2019;s Wirthshaus, wo die Flegel bei<lb/>
Bier und Schnaps &#x017F;itzen, Karten &#x017F;pielen; wo &#x017F;ie<lb/>
mich an&#x017F;tarren werden, wie die Kuh das neue Thor ...<lb/>
und gute Nacht: &#x017F;u&#x0364;ße Wehmuth, &#x017F;anfter Thra&#x0364;nenthau,<lb/>
Wonne des Schmerzes; gute Nacht Alles, was Poe&#x017F;ie<lb/>
heißt. Jch bin u&#x0364;berzeugt, wend&#x2019; ich mich nach dem<lb/>
Kirchhofe, um meiner Alten Grab zu &#x017F;ehen und auf<lb/>
die&#x017F;em die wohltha&#x0364;tige Stimmung wiederzufinden,<lb/>
die ich brauche und wu&#x0364;n&#x017F;che, dann haben die Schul-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0095] uͤbrig, als das Wirthshaus. ’s war auch albern von mir, zu glauben, ich wuͤrde das Neſt leer finden und mich nur gleich ſo hineinſetzen koͤnnen. ’s war eine indirekte Beleidigung gegen den Kurator meiner minorennen Erbſchafts-Maſſe. Nein, ſolche Hôtels laͤßt man nicht unbeſetzt. Ha ha, ich muß lachen, da ſteht Anton Hahn mitten in der Hauptgaſſe, in den Linden, dem Graben, den Boulevards von Liebenau, vor ſeinem eigenen Palaſte, und kein Hahn kraͤht nach Herrn Hahn, kein Hund begruͤßt ihn, kein Menſch kennt ihn mehr! Kaͤmpfte nicht Wehmuth mit mir, wie mit einem ſchwachen Maͤdchen und trieb mir heiße Thraͤnen in’s Auge, da ich die lange Dorfgaſſe betrat? Und jetzt iſt’s wie weggeblaſen, das ſuͤße, weiche Gefuͤhl der Heimkehr; jetzt kommt die Wirklichkeit und ſchickt mich in’s Wirthshaus, wo die Flegel bei Bier und Schnaps ſitzen, Karten ſpielen; wo ſie mich anſtarren werden, wie die Kuh das neue Thor ... und gute Nacht: ſuͤße Wehmuth, ſanfter Thraͤnenthau, Wonne des Schmerzes; gute Nacht Alles, was Poeſie heißt. Jch bin uͤberzeugt, wend’ ich mich nach dem Kirchhofe, um meiner Alten Grab zu ſehen und auf dieſem die wohlthaͤtige Stimmung wiederzufinden, die ich brauche und wuͤnſche, dann haben die Schul-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/95
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/95>, abgerufen am 28.04.2024.