Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

wollüstigem Schauer durch alle Glieder rieselt, wo
die Außenwelt verschwindet und im Uebergang vom
Wachen zum Traume unsere Einbildungskraft thun
kann, was ihr beliebt. Diese nun führte an seinem
innern Auge alle Personen vorüber, mit denen er in
Berührung gestanden, zeigte ihm Freund und Feind;
erweckte ihm Abneigung oder Wehmuth, je nachdem
die Erscheinungen waren. Sein alter Arzt fand sich,
der ihn nach seinem Sturze gepflegt, und untersuchte
die Wunde; Adele verband sie mit kunstfertigen Hän-
den; Käthchen labte ihn durch einen Schluck frischen
Wassers, wonach seine Zunge lechzte; Amelot trieb
Laura mit Schlägen von des Verwundeten Seite;
Antoinette, an des Grafen Guido Arm, beugte sich
mütterlich über ihn; Adelheid lief vorüber und lachte;
Bärbel zeigte ihm jammervoll ihre blutigen Arme,
der schwarze Wolfgang riß sie fort; Hedwig blickte
hinter jenem Gesträuche hervor, aus welchem Louis
nach ihm geschossen und neben ihr stand eine schöne
Frau in tiefer Trauer, die Anton nie gesehen, die er
aber sogleich für Gräfin Julie erkannte; Theodor
steckte das erdfahle Todtenantlitz aus einem Grabhü-
gel und rief ihm zu: Liebenau ist Dein! Die kleinen
Vögel um ihn her verwandelten sich in große Krä-

wolluͤſtigem Schauer durch alle Glieder rieſelt, wo
die Außenwelt verſchwindet und im Uebergang vom
Wachen zum Traume unſere Einbildungskraft thun
kann, was ihr beliebt. Dieſe nun fuͤhrte an ſeinem
innern Auge alle Perſonen voruͤber, mit denen er in
Beruͤhrung geſtanden, zeigte ihm Freund und Feind;
erweckte ihm Abneigung oder Wehmuth, je nachdem
die Erſcheinungen waren. Sein alter Arzt fand ſich,
der ihn nach ſeinem Sturze gepflegt, und unterſuchte
die Wunde; Adele verband ſie mit kunſtfertigen Haͤn-
den; Kaͤthchen labte ihn durch einen Schluck friſchen
Waſſers, wonach ſeine Zunge lechzte; Amelot trieb
Laura mit Schlaͤgen von des Verwundeten Seite;
Antoinette, an des Grafen Guido Arm, beugte ſich
muͤtterlich uͤber ihn; Adelheid lief voruͤber und lachte;
Baͤrbel zeigte ihm jammervoll ihre blutigen Arme,
der ſchwarze Wolfgang riß ſie fort; Hedwig blickte
hinter jenem Geſtraͤuche hervor, aus welchem Louis
nach ihm geſchoſſen und neben ihr ſtand eine ſchoͤne
Frau in tiefer Trauer, die Anton nie geſehen, die er
aber ſogleich fuͤr Graͤfin Julie erkannte; Theodor
ſteckte das erdfahle Todtenantlitz aus einem Grabhuͤ-
gel und rief ihm zu: Liebenau iſt Dein! Die kleinen
Voͤgel um ihn her verwandelten ſich in große Kraͤ-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046" n="42"/>
wollu&#x0364;&#x017F;tigem Schauer durch alle Glieder rie&#x017F;elt, wo<lb/>
die Außenwelt ver&#x017F;chwindet und im Uebergang vom<lb/>
Wachen zum Traume un&#x017F;ere Einbildungskraft thun<lb/>
kann, was ihr beliebt. Die&#x017F;e nun fu&#x0364;hrte an &#x017F;einem<lb/>
innern Auge alle Per&#x017F;onen voru&#x0364;ber, mit denen er in<lb/>
Beru&#x0364;hrung ge&#x017F;tanden, zeigte ihm Freund und Feind;<lb/>
erweckte ihm Abneigung oder Wehmuth, je nachdem<lb/>
die Er&#x017F;cheinungen waren. Sein alter Arzt fand &#x017F;ich,<lb/>
der ihn nach &#x017F;einem Sturze gepflegt, und unter&#x017F;uchte<lb/>
die Wunde; Adele verband &#x017F;ie mit kun&#x017F;tfertigen Ha&#x0364;n-<lb/>
den; Ka&#x0364;thchen labte ihn durch einen Schluck fri&#x017F;chen<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;ers, wonach &#x017F;eine Zunge lechzte; Amelot trieb<lb/>
Laura mit Schla&#x0364;gen von des Verwundeten Seite;<lb/>
Antoinette, an des Grafen Guido Arm, beugte &#x017F;ich<lb/>
mu&#x0364;tterlich u&#x0364;ber ihn; Adelheid lief voru&#x0364;ber und lachte;<lb/>
Ba&#x0364;rbel zeigte ihm jammervoll ihre blutigen Arme,<lb/>
der &#x017F;chwarze Wolfgang riß &#x017F;ie fort; Hedwig blickte<lb/>
hinter jenem Ge&#x017F;tra&#x0364;uche hervor, aus welchem Louis<lb/>
nach ihm ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en und neben ihr &#x017F;tand eine &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Frau in tiefer Trauer, die Anton nie ge&#x017F;ehen, die er<lb/>
aber &#x017F;ogleich fu&#x0364;r Gra&#x0364;fin Julie erkannte; Theodor<lb/>
&#x017F;teckte das erdfahle Todtenantlitz aus einem Grabhu&#x0364;-<lb/>
gel und rief ihm zu: Liebenau i&#x017F;t Dein! Die kleinen<lb/>
Vo&#x0364;gel um ihn her verwandelten &#x017F;ich in große Kra&#x0364;-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0046] wolluͤſtigem Schauer durch alle Glieder rieſelt, wo die Außenwelt verſchwindet und im Uebergang vom Wachen zum Traume unſere Einbildungskraft thun kann, was ihr beliebt. Dieſe nun fuͤhrte an ſeinem innern Auge alle Perſonen voruͤber, mit denen er in Beruͤhrung geſtanden, zeigte ihm Freund und Feind; erweckte ihm Abneigung oder Wehmuth, je nachdem die Erſcheinungen waren. Sein alter Arzt fand ſich, der ihn nach ſeinem Sturze gepflegt, und unterſuchte die Wunde; Adele verband ſie mit kunſtfertigen Haͤn- den; Kaͤthchen labte ihn durch einen Schluck friſchen Waſſers, wonach ſeine Zunge lechzte; Amelot trieb Laura mit Schlaͤgen von des Verwundeten Seite; Antoinette, an des Grafen Guido Arm, beugte ſich muͤtterlich uͤber ihn; Adelheid lief voruͤber und lachte; Baͤrbel zeigte ihm jammervoll ihre blutigen Arme, der ſchwarze Wolfgang riß ſie fort; Hedwig blickte hinter jenem Geſtraͤuche hervor, aus welchem Louis nach ihm geſchoſſen und neben ihr ſtand eine ſchoͤne Frau in tiefer Trauer, die Anton nie geſehen, die er aber ſogleich fuͤr Graͤfin Julie erkannte; Theodor ſteckte das erdfahle Todtenantlitz aus einem Grabhuͤ- gel und rief ihm zu: Liebenau iſt Dein! Die kleinen Voͤgel um ihn her verwandelten ſich in große Kraͤ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/46
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/46>, abgerufen am 23.11.2024.