"Du versprachst mir Ruhe, Mutter; Gottlob, nun find' ich sie."
Nachdem er es gemurmelt, verlor er die Besinnung.
Als er wieder zu sich kam, stand die Sonne schon ziemlich hoch. Seine Wunde blutete, er fühlte sich unendlich matt, aber dabei fühlte er auch, daß er nicht daran sterben dürfe, wenn ihm Hülfe zu Theil werde, eh' es zu spät sei. Doch woher sollte hier die Hülfe kommen? Kein lebendiges Wesen zeigte sich, außer den kleinen Waldvögelein, die neugierig um ihn herflatterten und sanfte Klagetöne ausstießen, wie wenn sie Mitleid mit ihm hätten. Der Schmerz, den die Wunde ihm verursachte, wurde mit jeder Minute heftiger, schien aber gering, gegen den Schmerz ver- glichen, den seine Seele fühlte über des feigen Mör- ders That.
Jeder Versuch, sich aufzurichten, mißlang. Ein Tuch, gegen die Wunde gepreßt, saugte sich an und hemmte die Blutung.
So lag er nun und ergab sich in's Unvermeid- liche. Ohne bewußtlos zu sein, verfiel er in jene Apathie der Entsagung, wo jedes Bestreben endet, wo jeder Wunsch erlischt, wo fröstelndes Fieber mit halb
„Du verſprachſt mir Ruhe, Mutter; Gottlob, nun find’ ich ſie.“
Nachdem er es gemurmelt, verlor er die Beſinnung.
Als er wieder zu ſich kam, ſtand die Sonne ſchon ziemlich hoch. Seine Wunde blutete, er fuͤhlte ſich unendlich matt, aber dabei fuͤhlte er auch, daß er nicht daran ſterben duͤrfe, wenn ihm Huͤlfe zu Theil werde, eh’ es zu ſpaͤt ſei. Doch woher ſollte hier die Huͤlfe kommen? Kein lebendiges Weſen zeigte ſich, außer den kleinen Waldvoͤgelein, die neugierig um ihn herflatterten und ſanfte Klagetoͤne ausſtießen, wie wenn ſie Mitleid mit ihm haͤtten. Der Schmerz, den die Wunde ihm verurſachte, wurde mit jeder Minute heftiger, ſchien aber gering, gegen den Schmerz ver- glichen, den ſeine Seele fuͤhlte uͤber des feigen Moͤr- ders That.
Jeder Verſuch, ſich aufzurichten, mißlang. Ein Tuch, gegen die Wunde gepreßt, ſaugte ſich an und hemmte die Blutung.
So lag er nun und ergab ſich in’s Unvermeid- liche. Ohne bewußtlos zu ſein, verfiel er in jene Apathie der Entſagung, wo jedes Beſtreben endet, wo jeder Wunſch erliſcht, wo froͤſtelndes Fieber mit halb
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„Du verſprachſt mir Ruhe, Mutter; Gottlob,
nun find’ ich ſie.“
Nachdem er es gemurmelt, verlor er die Beſinnung.
Als er wieder zu ſich kam, ſtand die Sonne ſchon
ziemlich hoch. Seine Wunde blutete, er fuͤhlte
ſich unendlich matt, aber dabei fuͤhlte er auch, daß er
nicht daran ſterben duͤrfe, wenn ihm Huͤlfe zu Theil
werde, eh’ es zu ſpaͤt ſei. Doch woher ſollte hier die
Huͤlfe kommen? Kein lebendiges Weſen zeigte ſich,
außer den kleinen Waldvoͤgelein, die neugierig um ihn
herflatterten und ſanfte Klagetoͤne ausſtießen, wie
wenn ſie Mitleid mit ihm haͤtten. Der Schmerz, den
die Wunde ihm verurſachte, wurde mit jeder Minute
heftiger, ſchien aber gering, gegen den Schmerz ver-
glichen, den ſeine Seele fuͤhlte uͤber des feigen Moͤr-
ders That.
Jeder Verſuch, ſich aufzurichten, mißlang. Ein
Tuch, gegen die Wunde gepreßt, ſaugte ſich an und
hemmte die Blutung.
So lag er nun und ergab ſich in’s Unvermeid-
liche. Ohne bewußtlos zu ſein, verfiel er in jene
Apathie der Entſagung, wo jedes Beſtreben endet,
wo jeder Wunſch erliſcht, wo froͤſtelndes Fieber mit halb
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/45>, abgerufen am 26.07.2024.
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