"Geschehen muß es doch, erfahren muß er doch, daß Du lebst und Ansprüche hast, zu leben. Besser heut als später! Vielleicht kommen wir mit einem Sturme durch! Anton, Du wirst in diesem Hause etwas erblicken, was selten ist: einen Sohn, den seine eigene Mutter (gegen alle Welt nur Huld und Güte) geringschätzt, meidet, haßt, so weit sie hassen kann! einen Sohn, den sein Vater abgöttisch liebte, verzog, sich über den Kopf wachsen ließ, und den er nun fürchtet, wie man nur einen grausamen Tyrannen fürchten kann, weil die Affenliebe für ihn noch nicht besiegt ist; einen Sohn endlich, der, die Selbstsucht in Person, für keinen Menschen ein Herz hat, für seine Eltern am Wenigsten; der in Müßiggang und Wildheit die Zeit verschwendet und sich hier nur blik- ken läßt, wenn er Geld braucht. Jch hatte nur noch eine Hoffnung für ihn; er sollte die Tochter aus einer Familie heirathen, mit der ich verwandt bin; einer Familie, wo strenge Sitte und frommer Ernst vor- herrschen. Dort sollte er die weitläuftigen, etwas derangirten Besitzthümer übernehmen, mit meinem Gelde nachhelfen, durch Thätigkeit und Fleiß, unter seiner Schwiegereltern Obhut auf eine andere Bahn geleitet werden; wir hofften, das würde ihn erman-
Die Vagabunden. IV. 3
„Geſchehen muß es doch, erfahren muß er doch, daß Du lebſt und Anſpruͤche haſt, zu leben. Beſſer heut als ſpaͤter! Vielleicht kommen wir mit einem Sturme durch! Anton, Du wirſt in dieſem Hauſe etwas erblicken, was ſelten iſt: einen Sohn, den ſeine eigene Mutter (gegen alle Welt nur Huld und Guͤte) geringſchaͤtzt, meidet, haßt, ſo weit ſie haſſen kann! einen Sohn, den ſein Vater abgoͤttiſch liebte, verzog, ſich uͤber den Kopf wachſen ließ, und den er nun fuͤrchtet, wie man nur einen grauſamen Tyrannen fuͤrchten kann, weil die Affenliebe fuͤr ihn noch nicht beſiegt iſt; einen Sohn endlich, der, die Selbſtſucht in Perſon, fuͤr keinen Menſchen ein Herz hat, fuͤr ſeine Eltern am Wenigſten; der in Muͤßiggang und Wildheit die Zeit verſchwendet und ſich hier nur blik- ken laͤßt, wenn er Geld braucht. Jch hatte nur noch eine Hoffnung fuͤr ihn; er ſollte die Tochter aus einer Familie heirathen, mit der ich verwandt bin; einer Familie, wo ſtrenge Sitte und frommer Ernſt vor- herrſchen. Dort ſollte er die weitlaͤuftigen, etwas derangirten Beſitzthuͤmer uͤbernehmen, mit meinem Gelde nachhelfen, durch Thaͤtigkeit und Fleiß, unter ſeiner Schwiegereltern Obhut auf eine andere Bahn geleitet werden; wir hofften, das wuͤrde ihn erman-
Die Vagabunden. IV. 3
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„Geſchehen muß es doch, erfahren muß er doch,
daß Du lebſt und Anſpruͤche haſt, zu leben. Beſſer
heut als ſpaͤter! Vielleicht kommen wir mit einem
Sturme durch! Anton, Du wirſt in dieſem Hauſe
etwas erblicken, was ſelten iſt: einen Sohn, den ſeine
eigene Mutter (gegen alle Welt nur Huld und Guͤte)
geringſchaͤtzt, meidet, haßt, ſo weit ſie haſſen kann!
einen Sohn, den ſein Vater abgoͤttiſch liebte, verzog,
ſich uͤber den Kopf wachſen ließ, und den er nun
fuͤrchtet, wie man nur einen grauſamen Tyrannen
fuͤrchten kann, weil die Affenliebe fuͤr ihn noch nicht
beſiegt iſt; einen Sohn endlich, der, die Selbſtſucht
in Perſon, fuͤr keinen Menſchen ein Herz hat, fuͤr
ſeine Eltern am Wenigſten; der in Muͤßiggang und
Wildheit die Zeit verſchwendet und ſich hier nur blik-
ken laͤßt, wenn er Geld braucht. Jch hatte nur noch
eine Hoffnung fuͤr ihn; er ſollte die Tochter aus einer
Familie heirathen, mit der ich verwandt bin; einer
Familie, wo ſtrenge Sitte und frommer Ernſt vor-
herrſchen. Dort ſollte er die weitlaͤuftigen, etwas
derangirten Beſitzthuͤmer uͤbernehmen, mit meinem
Gelde nachhelfen, durch Thaͤtigkeit und Fleiß, unter
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Die Vagabunden. IV. 3
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/37>, abgerufen am 26.07.2024.
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