Kammerdiener sieht es, erbietet sich, es dem Grafen einzuhändigen. Anton zögert; er dürfe es nur in die Hände der Gräfin legen, sagt er. Dem Diener kommt sein Benehmen befremdlich vor; ehe noch ein bestimm- ter Entschluß ausgesprochen wurde, erfährt Anton, daß er angemeldet sei und daß der Graf ihn erwarte.
Jn einem großen Eckzimmer des oberen Stock- werkes, mit offener Aussicht nach einem frisch-grünen- den Park, den Krankenstuhl an's Fenster geschoben, von Hunden umlagert, sitzt, liegt vielmehr Graf Guido auf Erlenstein, ein Mann von etlichen und vierzig Jahren und begrüßt den von streitenden Empfindun- gen fast betäubten Anton mehr erstaunt, als unfreund- lich, obgleich die Züge des männlich-schönen, durch einen überlangen Reiterbart abgetheilten Angesichtes, deutlich zeigen, daß gerade in dieser Stunde die Fuß- gicht einen heftigen Anfall auf des Leidenden gute Laune unternimmt. Was dem Kammerdiener gleich bei Antons Erscheinen auffiel, verfehlt jetzt auch nicht, sichtbare Wirkung auf den Gebieter zu machen: es ist die Aehnlichkeit zwischen Vater und Sohn. Der letztere, dessen unstäter Blick in einen großen Wand- spiegel fällt und sich darin neben dem Grafen erblickt, fährt erschrocken zurück, ohne passende Worte für eine
Kammerdiener ſieht es, erbietet ſich, es dem Grafen einzuhaͤndigen. Anton zoͤgert; er duͤrfe es nur in die Haͤnde der Graͤfin legen, ſagt er. Dem Diener kommt ſein Benehmen befremdlich vor; ehe noch ein beſtimm- ter Entſchluß ausgeſprochen wurde, erfaͤhrt Anton, daß er angemeldet ſei und daß der Graf ihn erwarte.
Jn einem großen Eckzimmer des oberen Stock- werkes, mit offener Ausſicht nach einem friſch-gruͤnen- den Park, den Krankenſtuhl an’s Fenſter geſchoben, von Hunden umlagert, ſitzt, liegt vielmehr Graf Guido auf Erlenſtein, ein Mann von etlichen und vierzig Jahren und begruͤßt den von ſtreitenden Empfindun- gen faſt betaͤubten Anton mehr erſtaunt, als unfreund- lich, obgleich die Zuͤge des maͤnnlich-ſchoͤnen, durch einen uͤberlangen Reiterbart abgetheilten Angeſichtes, deutlich zeigen, daß gerade in dieſer Stunde die Fuß- gicht einen heftigen Anfall auf des Leidenden gute Laune unternimmt. Was dem Kammerdiener gleich bei Antons Erſcheinen auffiel, verfehlt jetzt auch nicht, ſichtbare Wirkung auf den Gebieter zu machen: es iſt die Aehnlichkeit zwiſchen Vater und Sohn. Der letztere, deſſen unſtaͤter Blick in einen großen Wand- ſpiegel faͤllt und ſich darin neben dem Grafen erblickt, faͤhrt erſchrocken zuruͤck, ohne paſſende Worte fuͤr eine
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Kammerdiener ſieht es, erbietet ſich, es dem Grafen
einzuhaͤndigen. Anton zoͤgert; er duͤrfe es nur in die
Haͤnde der Graͤfin legen, ſagt er. Dem Diener kommt
ſein Benehmen befremdlich vor; ehe noch ein beſtimm-
ter Entſchluß ausgeſprochen wurde, erfaͤhrt Anton,
daß er angemeldet ſei und daß der Graf ihn erwarte.
Jn einem großen Eckzimmer des oberen Stock-
werkes, mit offener Ausſicht nach einem friſch-gruͤnen-
den Park, den Krankenſtuhl an’s Fenſter geſchoben,
von Hunden umlagert, ſitzt, liegt vielmehr Graf Guido
auf Erlenſtein, ein Mann von etlichen und vierzig
Jahren und begruͤßt den von ſtreitenden Empfindun-
gen faſt betaͤubten Anton mehr erſtaunt, als unfreund-
lich, obgleich die Zuͤge des maͤnnlich-ſchoͤnen, durch
einen uͤberlangen Reiterbart abgetheilten Angeſichtes,
deutlich zeigen, daß gerade in dieſer Stunde die Fuß-
gicht einen heftigen Anfall auf des Leidenden gute
Laune unternimmt. Was dem Kammerdiener gleich
bei Antons Erſcheinen auffiel, verfehlt jetzt auch nicht,
ſichtbare Wirkung auf den Gebieter zu machen: es
iſt die Aehnlichkeit zwiſchen Vater und Sohn. Der
letztere, deſſen unſtaͤter Blick in einen großen Wand-
ſpiegel faͤllt und ſich darin neben dem Grafen erblickt,
faͤhrt erſchrocken zuruͤck, ohne paſſende Worte fuͤr eine
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/31>, abgerufen am 05.07.2024.
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