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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

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morgen früh meinetwegen nicht aus der Ruhe stören
zu lassen, trennten wir uns wie alte Freunde.

Jch folgte der Gräfin.

Allein mit mir nahm sie das Wort:

Mein Pflegesohn hat nicht bedacht, daß die lite-
rarische Arbeit, wozu er Sie aufmuntert, und welche
nur dann des Lesers Theilnahme erwecken kann,
wofern sie wahr ist, aber wahr bis in's tiefste Geheim-
niß der menschlichen Seele, außer ihm noch andere
Personen berührt. Halten Sie mich nicht für eine
engherzige Frau, die durch Standesrücksichten oder
vorgerücktes Alter verhindert würde, die Dinge anzu-
sehen, wie sie sind. Jch weiß mich von jedem Vor-
urtheile frei. Aber ich wünsche nicht in einem Roman
eine Rolle zu spielen, so lang' ich noch lebe. Mögen
Sie Namen und Orte verändern, wie Sie wollen,...
mein furchtbares Geschick können, dürfen Sie nicht
verändern in Jhrer Erzählung. Wenn ich todt bin,
haben Sie freies Feld. Meines Gemahles Name stirbt
mit mir. Das Geschlecht ist erloschen. Dann laßt
drucken, was Jhr wollt. Und so geben Sie mir Jhre
Hand, mit dem Versprechen, mein Ende abzuwarten.
Lange werden Sie nicht zu warten brauchen. Das
weiß ich am Besten.

Die Vagabunden. IV. 15

morgen fruͤh meinetwegen nicht aus der Ruhe ſtoͤren
zu laſſen, trennten wir uns wie alte Freunde.

Jch folgte der Graͤfin.

Allein mit mir nahm ſie das Wort:

Mein Pflegeſohn hat nicht bedacht, daß die lite-
rariſche Arbeit, wozu er Sie aufmuntert, und welche
nur dann des Leſers Theilnahme erwecken kann,
wofern ſie wahr iſt, aber wahr bis in’s tiefſte Geheim-
niß der menſchlichen Seele, außer ihm noch andere
Perſonen beruͤhrt. Halten Sie mich nicht fuͤr eine
engherzige Frau, die durch Standesruͤckſichten oder
vorgeruͤcktes Alter verhindert wuͤrde, die Dinge anzu-
ſehen, wie ſie ſind. Jch weiß mich von jedem Vor-
urtheile frei. Aber ich wuͤnſche nicht in einem Roman
eine Rolle zu ſpielen, ſo lang’ ich noch lebe. Moͤgen
Sie Namen und Orte veraͤndern, wie Sie wollen,...
mein furchtbares Geſchick koͤnnen, duͤrfen Sie nicht
veraͤndern in Jhrer Erzaͤhlung. Wenn ich todt bin,
haben Sie freies Feld. Meines Gemahles Name ſtirbt
mit mir. Das Geſchlecht iſt erloſchen. Dann laßt
drucken, was Jhr wollt. Und ſo geben Sie mir Jhre
Hand, mit dem Verſprechen, mein Ende abzuwarten.
Lange werden Sie nicht zu warten brauchen. Das
weiß ich am Beſten.

Die Vagabunden. IV. 15
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[225/0229] morgen fruͤh meinetwegen nicht aus der Ruhe ſtoͤren zu laſſen, trennten wir uns wie alte Freunde. Jch folgte der Graͤfin. Allein mit mir nahm ſie das Wort: Mein Pflegeſohn hat nicht bedacht, daß die lite- rariſche Arbeit, wozu er Sie aufmuntert, und welche nur dann des Leſers Theilnahme erwecken kann, wofern ſie wahr iſt, aber wahr bis in’s tiefſte Geheim- niß der menſchlichen Seele, außer ihm noch andere Perſonen beruͤhrt. Halten Sie mich nicht fuͤr eine engherzige Frau, die durch Standesruͤckſichten oder vorgeruͤcktes Alter verhindert wuͤrde, die Dinge anzu- ſehen, wie ſie ſind. Jch weiß mich von jedem Vor- urtheile frei. Aber ich wuͤnſche nicht in einem Roman eine Rolle zu ſpielen, ſo lang’ ich noch lebe. Moͤgen Sie Namen und Orte veraͤndern, wie Sie wollen,... mein furchtbares Geſchick koͤnnen, duͤrfen Sie nicht veraͤndern in Jhrer Erzaͤhlung. Wenn ich todt bin, haben Sie freies Feld. Meines Gemahles Name ſtirbt mit mir. Das Geſchlecht iſt erloſchen. Dann laßt drucken, was Jhr wollt. Und ſo geben Sie mir Jhre Hand, mit dem Verſprechen, mein Ende abzuwarten. Lange werden Sie nicht zu warten brauchen. Das weiß ich am Beſten. Die Vagabunden. IV. 15

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/229>, abgerufen am 02.05.2024.