Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.Ehrfurcht und Liebe im Greisenalter einzuflößen ver- Anton hatte mir vertraut, daß auch sie meine Bei der heiligen Scheu, welche die stets in Am Theetisch kam das Gespräch auf Anton's Ehrfurcht und Liebe im Greiſenalter einzufloͤßen ver- Anton hatte mir vertraut, daß auch ſie meine Bei der heiligen Scheu, welche die ſtets in Am Theetiſch kam das Geſpraͤch auf Anton’s <TEI> <text> <back> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0226" n="222"/> Ehrfurcht und Liebe im Greiſenalter einzufloͤßen ver-<lb/> mochten. Frauen mit grauem Haar, die nur von<lb/> Grazien begleitet erſchienen, bei deren Eintritt jede<lb/> Rohheit entwich, jede Keckheit verſtummte, jede<lb/> Gemeinheit beſchaͤmt erroͤthete. Alte, ſehr alte<lb/> Frauen, die Frohſinn und Froͤhlichkeit mitbrachten,<lb/> Luſt und heit’re Geſpraͤche erweckten, feinen Scherz<lb/> verſtanden, Geiſt und Talent ſchaͤtzten. Hochadelige<lb/> Damen, die ſtolz waren, ohne hochmuͤthig; wuͤrdig,<lb/> ohne muͤrriſch; fromm, ohne froͤmmelnd und unduld-<lb/> ſam zu ſein. Sie ſind ſelten geworden. Graͤfin<lb/> Julia vereinte alle Eigenſchaften, vor denen man ſich<lb/> gern bewundernd neigt: ſie war <hi rendition="#g">noch</hi> ſchoͤn.</p><lb/> <p>Anton hatte mir vertraut, daß auch ſie meine<lb/> Vierzig Jahre geleſen.</p><lb/> <p>Bei der heiligen Scheu, welche die ſtets in<lb/> Trauergewand gehuͤllte, erhabene Frau mir erregte,<lb/> ſchlug mich dieſe Nachricht faſt danieder. Jch wagte<lb/> kaum zu reden, wenn ihr Auge bisweilen auf mir<lb/> ruhte.</p><lb/> <p>Am Theetiſch kam das Geſpraͤch auf Anton’s<lb/> Plan wegen des Romanes, den er mir aufgetragen.<lb/> Tieletunke, nachdem ſie Julien und Adelen zu Bett<lb/> gebracht, fing davon zu reden an.</p><lb/> </div> </div> </div> </back> </text> </TEI> [222/0226]
Ehrfurcht und Liebe im Greiſenalter einzufloͤßen ver-
mochten. Frauen mit grauem Haar, die nur von
Grazien begleitet erſchienen, bei deren Eintritt jede
Rohheit entwich, jede Keckheit verſtummte, jede
Gemeinheit beſchaͤmt erroͤthete. Alte, ſehr alte
Frauen, die Frohſinn und Froͤhlichkeit mitbrachten,
Luſt und heit’re Geſpraͤche erweckten, feinen Scherz
verſtanden, Geiſt und Talent ſchaͤtzten. Hochadelige
Damen, die ſtolz waren, ohne hochmuͤthig; wuͤrdig,
ohne muͤrriſch; fromm, ohne froͤmmelnd und unduld-
ſam zu ſein. Sie ſind ſelten geworden. Graͤfin
Julia vereinte alle Eigenſchaften, vor denen man ſich
gern bewundernd neigt: ſie war noch ſchoͤn.
Anton hatte mir vertraut, daß auch ſie meine
Vierzig Jahre geleſen.
Bei der heiligen Scheu, welche die ſtets in
Trauergewand gehuͤllte, erhabene Frau mir erregte,
ſchlug mich dieſe Nachricht faſt danieder. Jch wagte
kaum zu reden, wenn ihr Auge bisweilen auf mir
ruhte.
Am Theetiſch kam das Geſpraͤch auf Anton’s
Plan wegen des Romanes, den er mir aufgetragen.
Tieletunke, nachdem ſie Julien und Adelen zu Bett
gebracht, fing davon zu reden an.
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