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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

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Dritter Tag.

"Heute kommen die Meinigen, Freund Holtei.
Sie sind mit meiner Vergangenheit ein wenig ver-
traut worden; ich muß Jhnen jetzt auch ein Wort
von der Gegenwart sagen. Wir haben vier Kinder.
Die älteste Tochter, Ottilie, ist, obwohl kaum sieb-
zehn Jahre alt, schon verheirathet. Meine Frau
hatte viel gegen eine so frühe Trennung vom elter-
lichen Hause einzuwenden. Doch mein Schwieger-
sohn legte die Wünsche seiner Gönnerin, der Gräfin
Julia, in die Wagschaale -- und da war Alles gesagt.
Mein junger Hahn (Guido genannt) kräht gegen-
wärtig noch griechische und lateinische Vokabeln im
Gymnasium und hat noch einige Jahre bis zur hohen
Schule. Die jüngsten Kinder, unsere Nesthägchen:
Julie und Adele, sind bei der Mutter und sollen heute
noch die Ehre haben, Jhnen vorgestellt zu werden.
Sie staunen über den Namen Adele? Es ist Hedwig,
die darauf bestand, daß meiner unvergeßlichen Freun-
din Angedenken in unserer Familie auf diese Weise
geheiliget werde. Wenn Sie einen Blick in Hedwig's
Schmollwinkelchen, in ihr kleines, traulich-eingerich-
tetes Thurm- und Erker-Stübchen werfen wollen, so

Dritter Tag.

„Heute kommen die Meinigen, Freund Holtei.
Sie ſind mit meiner Vergangenheit ein wenig ver-
traut worden; ich muß Jhnen jetzt auch ein Wort
von der Gegenwart ſagen. Wir haben vier Kinder.
Die aͤlteſte Tochter, Ottilie, iſt, obwohl kaum ſieb-
zehn Jahre alt, ſchon verheirathet. Meine Frau
hatte viel gegen eine ſo fruͤhe Trennung vom elter-
lichen Hauſe einzuwenden. Doch mein Schwieger-
ſohn legte die Wuͤnſche ſeiner Goͤnnerin, der Graͤfin
Julia, in die Wagſchaale — und da war Alles geſagt.
Mein junger Hahn (Guido genannt) kraͤht gegen-
waͤrtig noch griechiſche und lateiniſche Vokabeln im
Gymnaſium und hat noch einige Jahre bis zur hohen
Schule. Die juͤngſten Kinder, unſere Neſthaͤgchen:
Julie und Adele, ſind bei der Mutter und ſollen heute
noch die Ehre haben, Jhnen vorgeſtellt zu werden.
Sie ſtaunen uͤber den Namen Adele? Es iſt Hedwig,
die darauf beſtand, daß meiner unvergeßlichen Freun-
din Angedenken in unſerer Familie auf dieſe Weiſe
geheiliget werde. Wenn Sie einen Blick in Hedwig’s
Schmollwinkelchen, in ihr kleines, traulich-eingerich-
tetes Thurm- und Erker-Stuͤbchen werfen wollen, ſo

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[218/0222] Dritter Tag. „Heute kommen die Meinigen, Freund Holtei. Sie ſind mit meiner Vergangenheit ein wenig ver- traut worden; ich muß Jhnen jetzt auch ein Wort von der Gegenwart ſagen. Wir haben vier Kinder. Die aͤlteſte Tochter, Ottilie, iſt, obwohl kaum ſieb- zehn Jahre alt, ſchon verheirathet. Meine Frau hatte viel gegen eine ſo fruͤhe Trennung vom elter- lichen Hauſe einzuwenden. Doch mein Schwieger- ſohn legte die Wuͤnſche ſeiner Goͤnnerin, der Graͤfin Julia, in die Wagſchaale — und da war Alles geſagt. Mein junger Hahn (Guido genannt) kraͤht gegen- waͤrtig noch griechiſche und lateiniſche Vokabeln im Gymnaſium und hat noch einige Jahre bis zur hohen Schule. Die juͤngſten Kinder, unſere Neſthaͤgchen: Julie und Adele, ſind bei der Mutter und ſollen heute noch die Ehre haben, Jhnen vorgeſtellt zu werden. Sie ſtaunen uͤber den Namen Adele? Es iſt Hedwig, die darauf beſtand, daß meiner unvergeßlichen Freun- din Angedenken in unſerer Familie auf dieſe Weiſe geheiliget werde. Wenn Sie einen Blick in Hedwig’s Schmollwinkelchen, in ihr kleines, traulich-eingerich- tetes Thurm- und Erker-Stuͤbchen werfen wollen, ſo

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/222>, abgerufen am 29.11.2024.