ihren Einzug in Schloß Liebenau halten und habe sich so eingerichtet, daß sie bei uns weilen könne "bis zur Taufe!" Die edle, liebenswürdige Frau! Wie freu' ich mich, sie wieder zu sehen -- und zu hören! Wahrlich, die Beschreibung meiner seligen Mutter paßt noch immer auf sie, obgleich seitdem mehr als ein Vierteljahrhundert vergangen ist."
Vom 15. Mai.
"Die Gegenwart der Gräfin sollte, wie ich gehofft, beruhigend, wohlthätig auf mich einwirken. Leider ist dem nicht so. Jch fühle mich noch ungeduldiger, als ehe sie ankam. Wenn sie ihr geistvolles Auge, wie fragend, auf mir weilen läßt, wird mir zu Muthe, als läse sie in meinem Jnnern! Als erriethe sie, welch' eine Thorheit mich martert! Und das ängstiget mich; ich schäme mich vor ihr. Nein, sie darf nicht ent- decken, daß der Vagabund in mir sein Wesen treibt! Was würde sie dazu sagen, deren Großmuth mich so königlich beschenkte? Sie, der wir Alles verdanken! Sie darf nicht wissen, daß ich meines Glückes unwür- dig bin. Sie würde mir zürnen. Oder sie würde, -- nicht höhnisch, denn das vermag sie nicht, -- sie würde mitleidig-lächelnd die Achsel zucken; und ich müßte
ihren Einzug in Schloß Liebenau halten und habe ſich ſo eingerichtet, daß ſie bei uns weilen koͤnne „bis zur Taufe!“ Die edle, liebenswuͤrdige Frau! Wie freu’ ich mich, ſie wieder zu ſehen — und zu hoͤren! Wahrlich, die Beſchreibung meiner ſeligen Mutter paßt noch immer auf ſie, obgleich ſeitdem mehr als ein Vierteljahrhundert vergangen iſt.“
Vom 15. Mai.
„Die Gegenwart der Graͤfin ſollte, wie ich gehofft, beruhigend, wohlthaͤtig auf mich einwirken. Leider iſt dem nicht ſo. Jch fuͤhle mich noch ungeduldiger, als ehe ſie ankam. Wenn ſie ihr geiſtvolles Auge, wie fragend, auf mir weilen laͤßt, wird mir zu Muthe, als laͤſe ſie in meinem Jnnern! Als erriethe ſie, welch’ eine Thorheit mich martert! Und das aͤngſtiget mich; ich ſchaͤme mich vor ihr. Nein, ſie darf nicht ent- decken, daß der Vagabund in mir ſein Weſen treibt! Was wuͤrde ſie dazu ſagen, deren Großmuth mich ſo koͤniglich beſchenkte? Sie, der wir Alles verdanken! Sie darf nicht wiſſen, daß ich meines Gluͤckes unwuͤr- dig bin. Sie wuͤrde mir zuͤrnen. Oder ſie wuͤrde, — nicht hoͤhniſch, denn das vermag ſie nicht, — ſie wuͤrde mitleidig-laͤchelnd die Achſel zucken; und ich muͤßte
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ihren Einzug in Schloß Liebenau halten und habe
ſich ſo eingerichtet, daß ſie bei uns weilen koͤnne „bis
zur Taufe!“ Die edle, liebenswuͤrdige Frau! Wie
freu’ ich mich, ſie wieder zu ſehen — und zu hoͤren!
Wahrlich, die Beſchreibung meiner ſeligen Mutter
paßt noch immer auf ſie, obgleich ſeitdem mehr als
ein Vierteljahrhundert vergangen iſt.“
Vom 15. Mai.
„Die Gegenwart der Graͤfin ſollte, wie ich gehofft,
beruhigend, wohlthaͤtig auf mich einwirken. Leider
iſt dem nicht ſo. Jch fuͤhle mich noch ungeduldiger,
als ehe ſie ankam. Wenn ſie ihr geiſtvolles Auge, wie
fragend, auf mir weilen laͤßt, wird mir zu Muthe, als
laͤſe ſie in meinem Jnnern! Als erriethe ſie, welch’
eine Thorheit mich martert! Und das aͤngſtiget mich;
ich ſchaͤme mich vor ihr. Nein, ſie darf nicht ent-
decken, daß der Vagabund in mir ſein Weſen treibt!
Was wuͤrde ſie dazu ſagen, deren Großmuth mich ſo
koͤniglich beſchenkte? Sie, der wir Alles verdanken!
Sie darf nicht wiſſen, daß ich meines Gluͤckes unwuͤr-
dig bin. Sie wuͤrde mir zuͤrnen. Oder ſie wuͤrde, —
nicht hoͤhniſch, denn das vermag ſie nicht, — ſie wuͤrde
mitleidig-laͤchelnd die Achſel zucken; und ich muͤßte
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/192>, abgerufen am 26.07.2024.
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