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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

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berg herab die große Straße suchte, um bei schlechtem
Novemberwetter auf Reisen zu gehen. Heute, am
schönsten Erndtetage quälten ihn nur Hitze und Staub,
den seines Rosses Galopp aufjagte. Doch das hin-
derte ihn nicht, dem Wirthshause zuzusprengen, in
welchem er damals seine erste Rast gehalten. Eine
krankhafte Ungeduld bemächtigte sich seiner, noch ein-
mal auf der Bank am Ofen zu sitzen, auf welcher
ihm der Milchkaffee so gut behagt, den er mit Koko
theilte; die Wirthin wieder zu sehen, die ihm verstoh-
len seine Locken gestreichelt; sich in den Anblick jenes
Gastzimmers zu versenken, welches in seiner Erinne-
rung von Rosenschimmer süßester Jugend-Poesie
strahlte. Er vergaß in fieberhafter, kindlicher Freude,
daß sie zu Hause mit dem Essen auf ihn warten, daß
Hedwig in Besorgniß gerathen, Alles im Schlosse
unruhig werden könne. Er jagte wie rasend durch
Mittagshitze und Staubwolken dem Ziele seiner
Phantasie entgegen.

Da ist das Dorf erreicht. Dort liegt das ersehnte
Haus. Er muß mit voller Gewalt sein Pferd zurück-
halten, um die halbnackten Kinder nicht zu überreiten,
die vor der Thüre, dicht an der Straße, ein Luft-
und Sand-Bad genießen. Dem Hausknecht, der so

berg herab die große Straße ſuchte, um bei ſchlechtem
Novemberwetter auf Reiſen zu gehen. Heute, am
ſchoͤnſten Erndtetage quaͤlten ihn nur Hitze und Staub,
den ſeines Roſſes Galopp aufjagte. Doch das hin-
derte ihn nicht, dem Wirthshauſe zuzuſprengen, in
welchem er damals ſeine erſte Raſt gehalten. Eine
krankhafte Ungeduld bemaͤchtigte ſich ſeiner, noch ein-
mal auf der Bank am Ofen zu ſitzen, auf welcher
ihm der Milchkaffee ſo gut behagt, den er mit Koko
theilte; die Wirthin wieder zu ſehen, die ihm verſtoh-
len ſeine Locken geſtreichelt; ſich in den Anblick jenes
Gaſtzimmers zu verſenken, welches in ſeiner Erinne-
rung von Roſenſchimmer ſuͤßeſter Jugend-Poeſie
ſtrahlte. Er vergaß in fieberhafter, kindlicher Freude,
daß ſie zu Hauſe mit dem Eſſen auf ihn warten, daß
Hedwig in Beſorgniß gerathen, Alles im Schloſſe
unruhig werden koͤnne. Er jagte wie raſend durch
Mittagshitze und Staubwolken dem Ziele ſeiner
Phantaſie entgegen.

Da iſt das Dorf erreicht. Dort liegt das erſehnte
Haus. Er muß mit voller Gewalt ſein Pferd zuruͤck-
halten, um die halbnackten Kinder nicht zu uͤberreiten,
die vor der Thuͤre, dicht an der Straße, ein Luft-
und Sand-Bad genießen. Dem Hausknecht, der ſo

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[170/0174] berg herab die große Straße ſuchte, um bei ſchlechtem Novemberwetter auf Reiſen zu gehen. Heute, am ſchoͤnſten Erndtetage quaͤlten ihn nur Hitze und Staub, den ſeines Roſſes Galopp aufjagte. Doch das hin- derte ihn nicht, dem Wirthshauſe zuzuſprengen, in welchem er damals ſeine erſte Raſt gehalten. Eine krankhafte Ungeduld bemaͤchtigte ſich ſeiner, noch ein- mal auf der Bank am Ofen zu ſitzen, auf welcher ihm der Milchkaffee ſo gut behagt, den er mit Koko theilte; die Wirthin wieder zu ſehen, die ihm verſtoh- len ſeine Locken geſtreichelt; ſich in den Anblick jenes Gaſtzimmers zu verſenken, welches in ſeiner Erinne- rung von Roſenſchimmer ſuͤßeſter Jugend-Poeſie ſtrahlte. Er vergaß in fieberhafter, kindlicher Freude, daß ſie zu Hauſe mit dem Eſſen auf ihn warten, daß Hedwig in Beſorgniß gerathen, Alles im Schloſſe unruhig werden koͤnne. Er jagte wie raſend durch Mittagshitze und Staubwolken dem Ziele ſeiner Phantaſie entgegen. Da iſt das Dorf erreicht. Dort liegt das erſehnte Haus. Er muß mit voller Gewalt ſein Pferd zuruͤck- halten, um die halbnackten Kinder nicht zu uͤberreiten, die vor der Thuͤre, dicht an der Straße, ein Luft- und Sand-Bad genießen. Dem Hausknecht, der ſo

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/174>, abgerufen am 27.04.2024.