Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

singt der französische Chansonier, dessen Lieder ich in
Paris kennen lernte. Wohl wahr! Jn diesem Rausche
sind mir sieben Jahre verflogen, sieben Jahre voll
Noth und Lust. Die Noth ist vergessen, die Lust
wirkt nach. Sie überfällt mich bisweilen, daß ich
nur gleich aufspringen und davon laufen möchte,
über alle Berge hinaus! Jch weiß sehr gut, ich würde
nicht lange laufen; ich würde bald wieder heimkehren
nach meinem lieben Liebenau; -- aber ich hätte die
Lust doch gebüßt; ich hätte doch wieder einmal vom
Schaume der vollen Jugendfreiheit genippt. -- Für
einen Gatten schickt sich das nicht. Jch soll ein
Mann sein; ein ernster, würdiger Gutsbesitzer; darf
meine Gemahlin nicht verlassen; muß nach der Wirth-
schaft sehen; die Beamten kontroliren; muß im
Geschirr des soliden Lebens ziehen; darf nicht über
den Strang schlagen; bin glebae adscriptus; bin
Sklave meines Reichthum's, -- Sklave meiner
Liebe! -- und gute Nacht persönliche Freiheit! -- --

Gerathe nur erst Einer auf derlei bedenkliche Fra-
gen: er wird sich bald in eine recht gut-organisirte,
rebellische Widersetzlichkeit hineingefragt haben. Und
gar erst, wenn er die entstehende Mißstimmung, --
sei es auch in der edelsten Absicht, -- vor derjenigen

ſingt der franzoͤſiſche Chanſonier, deſſen Lieder ich in
Paris kennen lernte. Wohl wahr! Jn dieſem Rauſche
ſind mir ſieben Jahre verflogen, ſieben Jahre voll
Noth und Luſt. Die Noth iſt vergeſſen, die Luſt
wirkt nach. Sie uͤberfaͤllt mich bisweilen, daß ich
nur gleich aufſpringen und davon laufen moͤchte,
uͤber alle Berge hinaus! Jch weiß ſehr gut, ich wuͤrde
nicht lange laufen; ich wuͤrde bald wieder heimkehren
nach meinem lieben Liebenau; — aber ich haͤtte die
Luſt doch gebuͤßt; ich haͤtte doch wieder einmal vom
Schaume der vollen Jugendfreiheit genippt. — Fuͤr
einen Gatten ſchickt ſich das nicht. Jch ſoll ein
Mann ſein; ein ernſter, wuͤrdiger Gutsbeſitzer; darf
meine Gemahlin nicht verlaſſen; muß nach der Wirth-
ſchaft ſehen; die Beamten kontroliren; muß im
Geſchirr des ſoliden Lebens ziehen; darf nicht uͤber
den Strang ſchlagen; bin glebae adscriptus; bin
Sklave meines Reichthum’s, — Sklave meiner
Liebe! — und gute Nacht perſoͤnliche Freiheit! — —

Gerathe nur erſt Einer auf derlei bedenkliche Fra-
gen: er wird ſich bald in eine recht gut-organiſirte,
rebelliſche Widerſetzlichkeit hineingefragt haben. Und
gar erſt, wenn er die entſtehende Mißſtimmung, —
ſei es auch in der edelſten Abſicht, — vor derjenigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0169" n="165"/>
&#x017F;ingt der franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che Chan&#x017F;onier, de&#x017F;&#x017F;en Lieder ich in<lb/>
Paris kennen lernte. Wohl wahr! Jn die&#x017F;em Rau&#x017F;che<lb/>
&#x017F;ind mir &#x017F;ieben Jahre verflogen, &#x017F;ieben Jahre voll<lb/>
Noth und Lu&#x017F;t. Die Noth i&#x017F;t verge&#x017F;&#x017F;en, die Lu&#x017F;t<lb/>
wirkt nach. Sie u&#x0364;berfa&#x0364;llt mich bisweilen, daß ich<lb/>
nur gleich auf&#x017F;pringen und davon laufen mo&#x0364;chte,<lb/>
u&#x0364;ber alle Berge hinaus! Jch weiß &#x017F;ehr gut, ich wu&#x0364;rde<lb/>
nicht lange laufen; ich wu&#x0364;rde bald wieder heimkehren<lb/>
nach meinem lieben Liebenau; &#x2014; aber ich ha&#x0364;tte die<lb/>
Lu&#x017F;t doch gebu&#x0364;ßt; ich ha&#x0364;tte doch wieder einmal vom<lb/>
Schaume der vollen Jugendfreiheit genippt. &#x2014; Fu&#x0364;r<lb/>
einen Gatten &#x017F;chickt &#x017F;ich das nicht. Jch &#x017F;oll ein<lb/>
Mann &#x017F;ein; ein ern&#x017F;ter, wu&#x0364;rdiger Gutsbe&#x017F;itzer; darf<lb/>
meine Gemahlin nicht verla&#x017F;&#x017F;en; muß nach der Wirth-<lb/>
&#x017F;chaft &#x017F;ehen; die Beamten kontroliren; muß im<lb/>
Ge&#x017F;chirr des &#x017F;oliden Lebens ziehen; darf nicht u&#x0364;ber<lb/>
den Strang &#x017F;chlagen; bin <hi rendition="#aq">glebae adscriptus;</hi> bin<lb/>
Sklave meines Reichthum&#x2019;s, &#x2014; Sklave meiner<lb/>
Liebe! &#x2014; und gute Nacht per&#x017F;o&#x0364;nliche Freiheit! &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Gerathe nur er&#x017F;t Einer auf derlei bedenkliche Fra-<lb/>
gen: er wird &#x017F;ich bald in eine recht gut-organi&#x017F;irte,<lb/>
rebelli&#x017F;che Wider&#x017F;etzlichkeit hineingefragt haben. Und<lb/>
gar er&#x017F;t, wenn er die ent&#x017F;tehende Miß&#x017F;timmung, &#x2014;<lb/>
&#x017F;ei es auch in der edel&#x017F;ten Ab&#x017F;icht, &#x2014; vor derjenigen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0169] ſingt der franzoͤſiſche Chanſonier, deſſen Lieder ich in Paris kennen lernte. Wohl wahr! Jn dieſem Rauſche ſind mir ſieben Jahre verflogen, ſieben Jahre voll Noth und Luſt. Die Noth iſt vergeſſen, die Luſt wirkt nach. Sie uͤberfaͤllt mich bisweilen, daß ich nur gleich aufſpringen und davon laufen moͤchte, uͤber alle Berge hinaus! Jch weiß ſehr gut, ich wuͤrde nicht lange laufen; ich wuͤrde bald wieder heimkehren nach meinem lieben Liebenau; — aber ich haͤtte die Luſt doch gebuͤßt; ich haͤtte doch wieder einmal vom Schaume der vollen Jugendfreiheit genippt. — Fuͤr einen Gatten ſchickt ſich das nicht. Jch ſoll ein Mann ſein; ein ernſter, wuͤrdiger Gutsbeſitzer; darf meine Gemahlin nicht verlaſſen; muß nach der Wirth- ſchaft ſehen; die Beamten kontroliren; muß im Geſchirr des ſoliden Lebens ziehen; darf nicht uͤber den Strang ſchlagen; bin glebae adscriptus; bin Sklave meines Reichthum’s, — Sklave meiner Liebe! — und gute Nacht perſoͤnliche Freiheit! — — Gerathe nur erſt Einer auf derlei bedenkliche Fra- gen: er wird ſich bald in eine recht gut-organiſirte, rebelliſche Widerſetzlichkeit hineingefragt haben. Und gar erſt, wenn er die entſtehende Mißſtimmung, — ſei es auch in der edelſten Abſicht, — vor derjenigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/169
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/169>, abgerufen am 25.11.2024.