daß er uns verließ, darf ich beklagen; nur zu danken haben wir, daß er uns noch so lange geliehen ward! Daß mein Kind das Licht dieser Sonne nicht erblickte, ist die natürliche Folge von Hedwigs kindlicher Liebe; sie befindet sich wieder wohl und wird künftig auch eine beglückte Mutter sein. Jch bin reich, unabhän- gig, jung, kann Gutes schaffen in meinem Wirkungs- kreise; die Bewohner von Liebenau haben mich gern; ich liebe meine Frau, meine Frau liebt mich .... was kann mir denn fehlen? -- Wie, wenn es die Frei- heit wäre? "Nun hab' ich Dich allein! Wende Dich niemals von mir!" Gewiß, sie hat Recht: sie ist mein schönes, gutes, treues Weib; sie hat Recht, von mir Treue zu fordern, bis über's Grab! -- Und doch, wie wenn es der Bedanke wäre, so unauflöslich gefes- selt zu sein, der mich beunruhigte? Es wäre schreck- lich, dennoch ist es nicht unmöglich. Jch war elend, das ist richtig; ein armseliger, umhergeworfener Vaga- bund! Jch sehnte mich nach Ruhe, nach einer Hei- math. Nun hab' ich beides, hab' es in überreich- lichem, jeden Wunsch übersteigendem Maaße; .... und nun entbehr' ich, was mich damals quälte, jene Freiheit der Armuth, deren Heimath die ganze große Erde heißt!? Vie errante, est chose enivrante!
daß er uns verließ, darf ich beklagen; nur zu danken haben wir, daß er uns noch ſo lange geliehen ward! Daß mein Kind das Licht dieſer Sonne nicht erblickte, iſt die natuͤrliche Folge von Hedwigs kindlicher Liebe; ſie befindet ſich wieder wohl und wird kuͤnftig auch eine begluͤckte Mutter ſein. Jch bin reich, unabhaͤn- gig, jung, kann Gutes ſchaffen in meinem Wirkungs- kreiſe; die Bewohner von Liebenau haben mich gern; ich liebe meine Frau, meine Frau liebt mich .... was kann mir denn fehlen? — Wie, wenn es die Frei- heit waͤre? „Nun hab’ ich Dich allein! Wende Dich niemals von mir!“ Gewiß, ſie hat Recht: ſie iſt mein ſchoͤnes, gutes, treues Weib; ſie hat Recht, von mir Treue zu fordern, bis uͤber’s Grab! — Und doch, wie wenn es der Bedanke waͤre, ſo unaufloͤslich gefeſ- ſelt zu ſein, der mich beunruhigte? Es waͤre ſchreck- lich, dennoch iſt es nicht unmoͤglich. Jch war elend, das iſt richtig; ein armſeliger, umhergeworfener Vaga- bund! Jch ſehnte mich nach Ruhe, nach einer Hei- math. Nun hab’ ich beides, hab’ es in uͤberreich- lichem, jeden Wunſch uͤberſteigendem Maaße; .... und nun entbehr’ ich, was mich damals quaͤlte, jene Freiheit der Armuth, deren Heimath die ganze große Erde heißt!? Vie errante, est chose enivrante!
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daß er uns verließ, darf ich beklagen; nur zu danken
haben wir, daß er uns noch ſo lange geliehen ward!
Daß mein Kind das Licht dieſer Sonne nicht erblickte,
iſt die natuͤrliche Folge von Hedwigs kindlicher Liebe;
ſie befindet ſich wieder wohl und wird kuͤnftig auch
eine begluͤckte Mutter ſein. Jch bin reich, unabhaͤn-
gig, jung, kann Gutes ſchaffen in meinem Wirkungs-
kreiſe; die Bewohner von Liebenau haben mich gern;
ich liebe meine Frau, meine Frau liebt mich .... was
kann mir denn fehlen? — Wie, wenn es die Frei-
heit waͤre? „Nun hab’ ich Dich allein! Wende Dich
niemals von mir!“ Gewiß, ſie hat Recht: ſie iſt mein
ſchoͤnes, gutes, treues Weib; ſie hat Recht, von mir
Treue zu fordern, bis uͤber’s Grab! — Und doch,
wie wenn es der Bedanke waͤre, ſo unaufloͤslich gefeſ-
ſelt zu ſein, der mich beunruhigte? Es waͤre ſchreck-
lich, dennoch iſt es nicht unmoͤglich. Jch war elend,
das iſt richtig; ein armſeliger, umhergeworfener Vaga-
bund! Jch ſehnte mich nach Ruhe, nach einer Hei-
math. Nun hab’ ich beides, hab’ es in uͤberreich-
lichem, jeden Wunſch uͤberſteigendem Maaße; ....
und nun entbehr’ ich, was mich damals quaͤlte, jene
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/168>, abgerufen am 26.07.2024.
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