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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

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"Weine nicht!" rief Hedwig, "es ist Dir schäd-
lich, Deine armen Augen sind immer entzündet."

Weine nicht! entgegnete der Vater; weine nicht!
Wie oft müßt' ich Dir das zurufen! Du weinst so
viel. Meinst Du, ich höre das nicht? Laß' mir auch
die Freude; solche Thränen sind Freudethränen; sie
gelten der besten Tochter, die ich Unwürdiger gar
nicht verdiene; und wenn sie den Augen weh' thun,
so hole der Teufel die Augen; dem Herzen thun sie
wohl. Oder glaubst Du, ich hätte kein Herz?

"Horch, Vater, ein Posthorn! -- Ein Reise-
wagen! Vier Pferde vor. Sie halten bei der Post!"

Es wird der Divisionsgeneral sein; er geht zur
Truppenübung. -- Na, da mußt Du mir wohl die
gute Uniform heraussuchen; da heißt's morgen früh
seine Aufwartung machen. Ja, der Herr General!
War Fähndrich, da ich schon Lieutenant war! Jetzt
ist er General und ich bin ein alter, armer Krüppel.
Aber, weißt Du was, Hedwig? Seine Tochter ist
eine kalte, hochnasige Dame! Jch tausche nicht mit
Jhnen, lieber General. Behalten Sie Jhre Würde
und laßt mir meine Hedwig! Daß Du's nur weißt:
in sein Haus, zu seinen Enkelchen solltest Du kom-
men, als Gouvernante. Er ist ein braver Kamerad,

„Weine nicht!“ rief Hedwig, „es iſt Dir ſchaͤd-
lich, Deine armen Augen ſind immer entzuͤndet.“

Weine nicht! entgegnete der Vater; weine nicht!
Wie oft muͤßt’ ich Dir das zurufen! Du weinſt ſo
viel. Meinſt Du, ich hoͤre das nicht? Laß’ mir auch
die Freude; ſolche Thraͤnen ſind Freudethraͤnen; ſie
gelten der beſten Tochter, die ich Unwuͤrdiger gar
nicht verdiene; und wenn ſie den Augen weh’ thun,
ſo hole der Teufel die Augen; dem Herzen thun ſie
wohl. Oder glaubſt Du, ich haͤtte kein Herz?

„Horch, Vater, ein Poſthorn! — Ein Reiſe-
wagen! Vier Pferde vor. Sie halten bei der Poſt!“

Es wird der Diviſionsgeneral ſein; er geht zur
Truppenuͤbung. — Na, da mußt Du mir wohl die
gute Uniform herausſuchen; da heißt’s morgen fruͤh
ſeine Aufwartung machen. Ja, der Herr General!
War Faͤhndrich, da ich ſchon Lieutenant war! Jetzt
iſt er General und ich bin ein alter, armer Kruͤppel.
Aber, weißt Du was, Hedwig? Seine Tochter iſt
eine kalte, hochnaſige Dame! Jch tauſche nicht mit
Jhnen, lieber General. Behalten Sie Jhre Wuͤrde
und laßt mir meine Hedwig! Daß Du’s nur weißt:
in ſein Haus, zu ſeinen Enkelchen ſollteſt Du kom-
men, als Gouvernante. Er iſt ein braver Kamerad,

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[138/0142] „Weine nicht!“ rief Hedwig, „es iſt Dir ſchaͤd- lich, Deine armen Augen ſind immer entzuͤndet.“ Weine nicht! entgegnete der Vater; weine nicht! Wie oft muͤßt’ ich Dir das zurufen! Du weinſt ſo viel. Meinſt Du, ich hoͤre das nicht? Laß’ mir auch die Freude; ſolche Thraͤnen ſind Freudethraͤnen; ſie gelten der beſten Tochter, die ich Unwuͤrdiger gar nicht verdiene; und wenn ſie den Augen weh’ thun, ſo hole der Teufel die Augen; dem Herzen thun ſie wohl. Oder glaubſt Du, ich haͤtte kein Herz? „Horch, Vater, ein Poſthorn! — Ein Reiſe- wagen! Vier Pferde vor. Sie halten bei der Poſt!“ Es wird der Diviſionsgeneral ſein; er geht zur Truppenuͤbung. — Na, da mußt Du mir wohl die gute Uniform herausſuchen; da heißt’s morgen fruͤh ſeine Aufwartung machen. Ja, der Herr General! War Faͤhndrich, da ich ſchon Lieutenant war! Jetzt iſt er General und ich bin ein alter, armer Kruͤppel. Aber, weißt Du was, Hedwig? Seine Tochter iſt eine kalte, hochnaſige Dame! Jch tauſche nicht mit Jhnen, lieber General. Behalten Sie Jhre Wuͤrde und laßt mir meine Hedwig! Daß Du’s nur weißt: in ſein Haus, zu ſeinen Enkelchen ſollteſt Du kom- men, als Gouvernante. Er iſt ein braver Kamerad,

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/142>, abgerufen am 24.11.2024.