ich liebte ihn. Liebte ihn schon damals, da er unsern alten Tanzlehrer begleitete; liebte ihn, wie vielleicht nur ein Kind, -- denn was bin ich anders gewesen, -- lieben kann: so rein, so innig, so wahr! Jn der Erinnerung an ihn lebte ich, von ihm getrennt. Jn meiner heiligen Liebe lebte ich, als Du ihn in's Haus brachtest. Jch bedachte nicht, daß er ein heimathloser Abentheurer sei! Jch sah in ihm nur den bescheidenen, wohlerzogenen, anmuthigen Freund. Von den Gefah- ren, die mir drohten, hab' ich keine Ahnung gehabt. Und wollte in den letzten Tagen meines Zusammen- lebens mit ihm eine solche Ahnung aufkommen, so wurde sie immer wieder zurückgedrängt durch die unbeschreiblichen Gefühle, die seine Gegenwart in mir erregten. Warum soll ich's Dir verschweigen, -- Dein Zorn gegen uns machte mich sehr unglücklich, und wärest Du damals nicht auf den Tod krank gewesen, hättest Du nicht Deiner Tochter Pflege bedurft; hätt' ich Dich verlassen dürfen, ohne Dich zu morden, -- wer weiß, was ich in jenem schauderhaften Momente gethan, wo Du mir die Wahl ließest? Ja, damals klagt' ich Dich an! -- Ach, die Zeit hat mich belehrt, daß Du keine Klage verdienst, nur Dank! Denn, sprich selbst, würde der Mensch, den ich liebte, von
ich liebte ihn. Liebte ihn ſchon damals, da er unſern alten Tanzlehrer begleitete; liebte ihn, wie vielleicht nur ein Kind, — denn was bin ich anders geweſen, — lieben kann: ſo rein, ſo innig, ſo wahr! Jn der Erinnerung an ihn lebte ich, von ihm getrennt. Jn meiner heiligen Liebe lebte ich, als Du ihn in’s Haus brachteſt. Jch bedachte nicht, daß er ein heimathloſer Abentheurer ſei! Jch ſah in ihm nur den beſcheidenen, wohlerzogenen, anmuthigen Freund. Von den Gefah- ren, die mir drohten, hab’ ich keine Ahnung gehabt. Und wollte in den letzten Tagen meines Zuſammen- lebens mit ihm eine ſolche Ahnung aufkommen, ſo wurde ſie immer wieder zuruͤckgedraͤngt durch die unbeſchreiblichen Gefuͤhle, die ſeine Gegenwart in mir erregten. Warum ſoll ich’s Dir verſchweigen, — Dein Zorn gegen uns machte mich ſehr ungluͤcklich, und waͤreſt Du damals nicht auf den Tod krank geweſen, haͤtteſt Du nicht Deiner Tochter Pflege bedurft; haͤtt’ ich Dich verlaſſen duͤrfen, ohne Dich zu morden, — wer weiß, was ich in jenem ſchauderhaften Momente gethan, wo Du mir die Wahl ließeſt? Ja, damals klagt’ ich Dich an! — Ach, die Zeit hat mich belehrt, daß Du keine Klage verdienſt, nur Dank! Denn, ſprich ſelbſt, wuͤrde der Menſch, den ich liebte, von
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ich liebte ihn. Liebte ihn ſchon damals, da er unſern
alten Tanzlehrer begleitete; liebte ihn, wie vielleicht
nur ein Kind, — denn was bin ich anders geweſen,
— lieben kann: ſo rein, ſo innig, ſo wahr! Jn der
Erinnerung an ihn lebte ich, von ihm getrennt. Jn
meiner heiligen Liebe lebte ich, als Du ihn in’s Haus
brachteſt. Jch bedachte nicht, daß er ein heimathloſer
Abentheurer ſei! Jch ſah in ihm nur den beſcheidenen,
wohlerzogenen, anmuthigen Freund. Von den Gefah-
ren, die mir drohten, hab’ ich keine Ahnung gehabt.
Und wollte in den letzten Tagen meines Zuſammen-
lebens mit ihm eine ſolche Ahnung aufkommen, ſo
wurde ſie immer wieder zuruͤckgedraͤngt durch die
unbeſchreiblichen Gefuͤhle, die ſeine Gegenwart in mir
erregten. Warum ſoll ich’s Dir verſchweigen, — Dein
Zorn gegen uns machte mich ſehr ungluͤcklich, und
waͤreſt Du damals nicht auf den Tod krank geweſen,
haͤtteſt Du nicht Deiner Tochter Pflege bedurft; haͤtt’
ich Dich verlaſſen duͤrfen, ohne Dich zu morden, —
wer weiß, was ich in jenem ſchauderhaften Momente
gethan, wo Du mir die Wahl ließeſt? Ja, damals
klagt’ ich Dich an! — Ach, die Zeit hat mich belehrt,
daß Du keine Klage verdienſt, nur Dank! Denn,
ſprich ſelbſt, wuͤrde der Menſch, den ich liebte, von
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/140>, abgerufen am 05.07.2024.
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