Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite
Sechsundsiebenzigstes Kapitel.

Welches das letzte sein könnte, wenn nicht nothwendigerweise noch einige andere
hintend'rein folgen müßten.

Durch Hedwigs kindliche Aufopferung, sorgfältige
Pflege, hatte sich der Rittmeister nach und nach wieder
soweit erholt, daß er, von ihr und seiner Krücke unter-
stützt, alltäglich einen kleinen Spaziergang machen
konnte. Wer die beiden Leute mit einander gehen sah,
mußte die liebliche Tochter für ein hochbeglücktes Mäd-
chen, den Jnvaliden aber für einen Verbrecher halten,
dem sein böses Gewissen nicht eine heitere Stunde, nicht
eine fröhliche Minute gönnte. Sie lächelte, schwatzte,
war unermüdlich in kleinen Aufmerksamkeiten für ihn,
nickte jedem Vorübergehenden freundlich zu, kurz, gab
sich förmlich Mühe, öffentlich darzuthun, und ihrem
Vater zu zeigen, wie zufrieden sie sich fühle. Er
dagegen, indem er jede ihrer Bewegungen ängstlich
beobachtete, keinen Blick von ihr verwendete, benahm
sich nicht anders, wie wenn sie die Kranke, Gebrech-
liche, er ihr Führer und Arzt sei, der nur aufzumerken
habe, ob nicht vielleicht ein heftiger Ausbruch des
lauernden Uebels bevorstehe. Dabei stöhnte der alte
Mann, fuhr sich häufig mit der Hand über die feuch-
ten Augen, seufzte wieder, drückte der Tochter zärtlich

Sechsundſiebenzigſtes Kapitel.

Welches das letzte ſein könnte, wenn nicht nothwendigerweiſe noch einige andere
hintend’rein folgen müßten.

Durch Hedwigs kindliche Aufopferung, ſorgfaͤltige
Pflege, hatte ſich der Rittmeiſter nach und nach wieder
ſoweit erholt, daß er, von ihr und ſeiner Kruͤcke unter-
ſtuͤtzt, alltaͤglich einen kleinen Spaziergang machen
konnte. Wer die beiden Leute mit einander gehen ſah,
mußte die liebliche Tochter fuͤr ein hochbegluͤcktes Maͤd-
chen, den Jnvaliden aber fuͤr einen Verbrecher halten,
dem ſein boͤſes Gewiſſen nicht eine heitere Stunde, nicht
eine froͤhliche Minute goͤnnte. Sie laͤchelte, ſchwatzte,
war unermuͤdlich in kleinen Aufmerkſamkeiten fuͤr ihn,
nickte jedem Voruͤbergehenden freundlich zu, kurz, gab
ſich foͤrmlich Muͤhe, oͤffentlich darzuthun, und ihrem
Vater zu zeigen, wie zufrieden ſie ſich fuͤhle. Er
dagegen, indem er jede ihrer Bewegungen aͤngſtlich
beobachtete, keinen Blick von ihr verwendete, benahm
ſich nicht anders, wie wenn ſie die Kranke, Gebrech-
liche, er ihr Fuͤhrer und Arzt ſei, der nur aufzumerken
habe, ob nicht vielleicht ein heftiger Ausbruch des
lauernden Uebels bevorſtehe. Dabei ſtoͤhnte der alte
Mann, fuhr ſich haͤufig mit der Hand uͤber die feuch-
ten Augen, ſeufzte wieder, druͤckte der Tochter zaͤrtlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0134" n="130"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Sechsund&#x017F;iebenzig&#x017F;tes Kapitel.</hi> </head><lb/>
        <argument>
          <p> <hi rendition="#c">Welches das letzte &#x017F;ein könnte, wenn nicht nothwendigerwei&#x017F;e noch einige andere<lb/>
hintend&#x2019;rein folgen müßten.</hi> </p>
        </argument><lb/>
        <p>Durch Hedwigs kindliche Aufopferung, &#x017F;orgfa&#x0364;ltige<lb/>
Pflege, hatte &#x017F;ich der Rittmei&#x017F;ter nach und nach wieder<lb/>
&#x017F;oweit erholt, daß er, von ihr und &#x017F;einer Kru&#x0364;cke unter-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;tzt, allta&#x0364;glich einen kleinen Spaziergang machen<lb/>
konnte. Wer die beiden Leute mit einander gehen &#x017F;ah,<lb/>
mußte die liebliche Tochter fu&#x0364;r ein hochbeglu&#x0364;cktes Ma&#x0364;d-<lb/>
chen, den Jnvaliden aber fu&#x0364;r einen Verbrecher halten,<lb/>
dem &#x017F;ein bo&#x0364;&#x017F;es Gewi&#x017F;&#x017F;en nicht eine heitere Stunde, nicht<lb/>
eine fro&#x0364;hliche Minute go&#x0364;nnte. Sie la&#x0364;chelte, &#x017F;chwatzte,<lb/>
war unermu&#x0364;dlich in kleinen Aufmerk&#x017F;amkeiten fu&#x0364;r ihn,<lb/>
nickte jedem Voru&#x0364;bergehenden freundlich zu, kurz, gab<lb/>
&#x017F;ich fo&#x0364;rmlich Mu&#x0364;he, o&#x0364;ffentlich darzuthun, und ihrem<lb/>
Vater zu zeigen, wie zufrieden &#x017F;ie &#x017F;ich fu&#x0364;hle. Er<lb/>
dagegen, indem er jede ihrer Bewegungen a&#x0364;ng&#x017F;tlich<lb/>
beobachtete, keinen Blick von ihr verwendete, benahm<lb/>
&#x017F;ich nicht anders, wie wenn &#x017F;ie die Kranke, Gebrech-<lb/>
liche, er ihr Fu&#x0364;hrer und Arzt &#x017F;ei, der nur aufzumerken<lb/>
habe, ob nicht vielleicht ein heftiger Ausbruch des<lb/>
lauernden Uebels bevor&#x017F;tehe. Dabei &#x017F;to&#x0364;hnte der alte<lb/>
Mann, fuhr &#x017F;ich ha&#x0364;ufig mit der Hand u&#x0364;ber die feuch-<lb/>
ten Augen, &#x017F;eufzte wieder, dru&#x0364;ckte der Tochter za&#x0364;rtlich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0134] Sechsundſiebenzigſtes Kapitel. Welches das letzte ſein könnte, wenn nicht nothwendigerweiſe noch einige andere hintend’rein folgen müßten. Durch Hedwigs kindliche Aufopferung, ſorgfaͤltige Pflege, hatte ſich der Rittmeiſter nach und nach wieder ſoweit erholt, daß er, von ihr und ſeiner Kruͤcke unter- ſtuͤtzt, alltaͤglich einen kleinen Spaziergang machen konnte. Wer die beiden Leute mit einander gehen ſah, mußte die liebliche Tochter fuͤr ein hochbegluͤcktes Maͤd- chen, den Jnvaliden aber fuͤr einen Verbrecher halten, dem ſein boͤſes Gewiſſen nicht eine heitere Stunde, nicht eine froͤhliche Minute goͤnnte. Sie laͤchelte, ſchwatzte, war unermuͤdlich in kleinen Aufmerkſamkeiten fuͤr ihn, nickte jedem Voruͤbergehenden freundlich zu, kurz, gab ſich foͤrmlich Muͤhe, oͤffentlich darzuthun, und ihrem Vater zu zeigen, wie zufrieden ſie ſich fuͤhle. Er dagegen, indem er jede ihrer Bewegungen aͤngſtlich beobachtete, keinen Blick von ihr verwendete, benahm ſich nicht anders, wie wenn ſie die Kranke, Gebrech- liche, er ihr Fuͤhrer und Arzt ſei, der nur aufzumerken habe, ob nicht vielleicht ein heftiger Ausbruch des lauernden Uebels bevorſtehe. Dabei ſtoͤhnte der alte Mann, fuhr ſich haͤufig mit der Hand uͤber die feuch- ten Augen, ſeufzte wieder, druͤckte der Tochter zaͤrtlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/134
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/134>, abgerufen am 04.05.2024.