Welches das letzte sein könnte, wenn nicht nothwendigerweise noch einige andere hintend'rein folgen müßten.
Durch Hedwigs kindliche Aufopferung, sorgfältige Pflege, hatte sich der Rittmeister nach und nach wieder soweit erholt, daß er, von ihr und seiner Krücke unter- stützt, alltäglich einen kleinen Spaziergang machen konnte. Wer die beiden Leute mit einander gehen sah, mußte die liebliche Tochter für ein hochbeglücktes Mäd- chen, den Jnvaliden aber für einen Verbrecher halten, dem sein böses Gewissen nicht eine heitere Stunde, nicht eine fröhliche Minute gönnte. Sie lächelte, schwatzte, war unermüdlich in kleinen Aufmerksamkeiten für ihn, nickte jedem Vorübergehenden freundlich zu, kurz, gab sich förmlich Mühe, öffentlich darzuthun, und ihrem Vater zu zeigen, wie zufrieden sie sich fühle. Er dagegen, indem er jede ihrer Bewegungen ängstlich beobachtete, keinen Blick von ihr verwendete, benahm sich nicht anders, wie wenn sie die Kranke, Gebrech- liche, er ihr Führer und Arzt sei, der nur aufzumerken habe, ob nicht vielleicht ein heftiger Ausbruch des lauernden Uebels bevorstehe. Dabei stöhnte der alte Mann, fuhr sich häufig mit der Hand über die feuch- ten Augen, seufzte wieder, drückte der Tochter zärtlich
Sechsundſiebenzigſtes Kapitel.
Welches das letzte ſein könnte, wenn nicht nothwendigerweiſe noch einige andere hintend’rein folgen müßten.
Durch Hedwigs kindliche Aufopferung, ſorgfaͤltige Pflege, hatte ſich der Rittmeiſter nach und nach wieder ſoweit erholt, daß er, von ihr und ſeiner Kruͤcke unter- ſtuͤtzt, alltaͤglich einen kleinen Spaziergang machen konnte. Wer die beiden Leute mit einander gehen ſah, mußte die liebliche Tochter fuͤr ein hochbegluͤcktes Maͤd- chen, den Jnvaliden aber fuͤr einen Verbrecher halten, dem ſein boͤſes Gewiſſen nicht eine heitere Stunde, nicht eine froͤhliche Minute goͤnnte. Sie laͤchelte, ſchwatzte, war unermuͤdlich in kleinen Aufmerkſamkeiten fuͤr ihn, nickte jedem Voruͤbergehenden freundlich zu, kurz, gab ſich foͤrmlich Muͤhe, oͤffentlich darzuthun, und ihrem Vater zu zeigen, wie zufrieden ſie ſich fuͤhle. Er dagegen, indem er jede ihrer Bewegungen aͤngſtlich beobachtete, keinen Blick von ihr verwendete, benahm ſich nicht anders, wie wenn ſie die Kranke, Gebrech- liche, er ihr Fuͤhrer und Arzt ſei, der nur aufzumerken habe, ob nicht vielleicht ein heftiger Ausbruch des lauernden Uebels bevorſtehe. Dabei ſtoͤhnte der alte Mann, fuhr ſich haͤufig mit der Hand uͤber die feuch- ten Augen, ſeufzte wieder, druͤckte der Tochter zaͤrtlich
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Sechsundſiebenzigſtes Kapitel.
Welches das letzte ſein könnte, wenn nicht nothwendigerweiſe noch einige andere
hintend’rein folgen müßten.
Durch Hedwigs kindliche Aufopferung, ſorgfaͤltige
Pflege, hatte ſich der Rittmeiſter nach und nach wieder
ſoweit erholt, daß er, von ihr und ſeiner Kruͤcke unter-
ſtuͤtzt, alltaͤglich einen kleinen Spaziergang machen
konnte. Wer die beiden Leute mit einander gehen ſah,
mußte die liebliche Tochter fuͤr ein hochbegluͤcktes Maͤd-
chen, den Jnvaliden aber fuͤr einen Verbrecher halten,
dem ſein boͤſes Gewiſſen nicht eine heitere Stunde, nicht
eine froͤhliche Minute goͤnnte. Sie laͤchelte, ſchwatzte,
war unermuͤdlich in kleinen Aufmerkſamkeiten fuͤr ihn,
nickte jedem Voruͤbergehenden freundlich zu, kurz, gab
ſich foͤrmlich Muͤhe, oͤffentlich darzuthun, und ihrem
Vater zu zeigen, wie zufrieden ſie ſich fuͤhle. Er
dagegen, indem er jede ihrer Bewegungen aͤngſtlich
beobachtete, keinen Blick von ihr verwendete, benahm
ſich nicht anders, wie wenn ſie die Kranke, Gebrech-
liche, er ihr Fuͤhrer und Arzt ſei, der nur aufzumerken
habe, ob nicht vielleicht ein heftiger Ausbruch des
lauernden Uebels bevorſtehe. Dabei ſtoͤhnte der alte
Mann, fuhr ſich haͤufig mit der Hand uͤber die feuch-
ten Augen, ſeufzte wieder, druͤckte der Tochter zaͤrtlich
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/134>, abgerufen am 05.07.2024.
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