den Arm, streichelte ihre Locken und fragte unzählige- male im Laufe eines Tages: hast Du den lahmen Krüppel, den grausamen Vater, den barbarischen Kerkermeister wirklich noch ein Bischen lieb, Hedwig?
Es war rührend mit anzuschauen, wie sie sich bemühte, ihn zu täuschen, die Sehnsucht ihres Her- zens vor ihm zu verbergen und frohen Muthes zu scheinen, wo doch die arme Seele im Grame schier verging.
Doch er ließ sich nicht täuschen; er wußte nur zu gut, woran er glauben sollte; wußte nur zu gut, daß mit Anton seines sanften Mädchens Freude für immer entwichen sei! Ach, wie oft schon, seit jener schwarzen Stunde, wo er, von heftigen Schmerzen gequält, das halbverrostete Schwert gegen ihn zückte, und sie zwi- schen ihm und sich wählen hieß; ... wie oft seitdem hat er es bitter bereut, so gewaltsam gehandelt, so rücksichtslos jeden Vorschlag zur Güte abgewiesen, jede Ausgleichung unmöglich gemacht zu haben! Dabei vermied er, des Verwiesenen Namen auszu- sprechen. Er behandelte Hedwig wie eine Kranke, und dabei pflegte sie ihn, führte ihn, die gute Tochter, wie eine Mutter ihr schwächliches Kind. So lange er, durch seine Schmerzen mürrisch gemacht, sie mit
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den Arm, ſtreichelte ihre Locken und fragte unzaͤhlige- male im Laufe eines Tages: haſt Du den lahmen Kruͤppel, den grauſamen Vater, den barbariſchen Kerkermeiſter wirklich noch ein Bischen lieb, Hedwig?
Es war ruͤhrend mit anzuſchauen, wie ſie ſich bemuͤhte, ihn zu taͤuſchen, die Sehnſucht ihres Her- zens vor ihm zu verbergen und frohen Muthes zu ſcheinen, wo doch die arme Seele im Grame ſchier verging.
Doch er ließ ſich nicht taͤuſchen; er wußte nur zu gut, woran er glauben ſollte; wußte nur zu gut, daß mit Anton ſeines ſanften Maͤdchens Freude fuͤr immer entwichen ſei! Ach, wie oft ſchon, ſeit jener ſchwarzen Stunde, wo er, von heftigen Schmerzen gequaͤlt, das halbverroſtete Schwert gegen ihn zuͤckte, und ſie zwi- ſchen ihm und ſich waͤhlen hieß; ... wie oft ſeitdem hat er es bitter bereut, ſo gewaltſam gehandelt, ſo ruͤckſichtslos jeden Vorſchlag zur Guͤte abgewieſen, jede Ausgleichung unmoͤglich gemacht zu haben! Dabei vermied er, des Verwieſenen Namen auszu- ſprechen. Er behandelte Hedwig wie eine Kranke, und dabei pflegte ſie ihn, fuͤhrte ihn, die gute Tochter, wie eine Mutter ihr ſchwaͤchliches Kind. So lange er, durch ſeine Schmerzen muͤrriſch gemacht, ſie mit
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den Arm, ſtreichelte ihre Locken und fragte unzaͤhlige-
male im Laufe eines Tages: haſt Du den lahmen
Kruͤppel, den grauſamen Vater, den barbariſchen
Kerkermeiſter wirklich noch ein Bischen lieb, Hedwig?
Es war ruͤhrend mit anzuſchauen, wie ſie ſich
bemuͤhte, ihn zu taͤuſchen, die Sehnſucht ihres Her-
zens vor ihm zu verbergen und frohen Muthes zu
ſcheinen, wo doch die arme Seele im Grame ſchier
verging.
Doch er ließ ſich nicht taͤuſchen; er wußte nur zu
gut, woran er glauben ſollte; wußte nur zu gut, daß
mit Anton ſeines ſanften Maͤdchens Freude fuͤr immer
entwichen ſei! Ach, wie oft ſchon, ſeit jener ſchwarzen
Stunde, wo er, von heftigen Schmerzen gequaͤlt, das
halbverroſtete Schwert gegen ihn zuͤckte, und ſie zwi-
ſchen ihm und ſich waͤhlen hieß; ... wie oft ſeitdem
hat er es bitter bereut, ſo gewaltſam gehandelt, ſo
ruͤckſichtslos jeden Vorſchlag zur Guͤte abgewieſen,
jede Ausgleichung unmoͤglich gemacht zu haben!
Dabei vermied er, des Verwieſenen Namen auszu-
ſprechen. Er behandelte Hedwig wie eine Kranke,
und dabei pflegte ſie ihn, fuͤhrte ihn, die gute Tochter,
wie eine Mutter ihr ſchwaͤchliches Kind. So lange
er, durch ſeine Schmerzen muͤrriſch gemacht, ſie mit
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/135>, abgerufen am 26.07.2024.
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