Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Gatten vermittelnd dazwischen getreten. Diese bei-
den Leute, die sich auf langen Reisen schon ein genü-
gendes Vermögen gesammelt, standen im Begriff,
nach Venedig zurück zu kehren; sie erboten sich, mich
mit sich zu nehmen und mir auf ihre Kosten diejenige
künstlerische Ausbildung ertheilen zu lassen, die mich
befähigen würde, eine Laufbahn als dramatische Sän-
gerin anzutreten. Da sie selbst keine Kinder besaßen,
so konnte dies Anerbieten für eine Erklärung gelten,
mich zur Tochter annehmen zu wollen. So auch
betrachtete der gutmüthige Beamtete diese Sache und
ertheilte seine Einwilligung.

Von hier an, mein geliebter Sohn, beginnt Deine
Mutter das Leben einer Opernsängerin, mit seinen
Eitelkeiten, Siegen, Triumphen und Verirrungen.
Du weißt genug von der Welt, um Dir denken zu
können, welch' ein Dasein ich führte. Ein Jahr des
Unterrichtes von einem trefflichen Singemeister, wie
man sie für ähnliche Zwecke wohl nur in Jtalien fin-
det, hatte vollkommen hingereicht, mich bis zu dem-
jenigen Grade der Vollendung auszubilden, dessen
meine natürlichen Anlagen überhaupt fähig waren.
Jch debütirte bei kleineren Unternehmungen in Städ-
ten dritten Ranges mit Glück. Man prophezei'te

Gatten vermittelnd dazwiſchen getreten. Dieſe bei-
den Leute, die ſich auf langen Reiſen ſchon ein genuͤ-
gendes Vermoͤgen geſammelt, ſtanden im Begriff,
nach Venedig zuruͤck zu kehren; ſie erboten ſich, mich
mit ſich zu nehmen und mir auf ihre Koſten diejenige
kuͤnſtleriſche Ausbildung ertheilen zu laſſen, die mich
befaͤhigen wuͤrde, eine Laufbahn als dramatiſche Saͤn-
gerin anzutreten. Da ſie ſelbſt keine Kinder beſaßen,
ſo konnte dies Anerbieten fuͤr eine Erklaͤrung gelten,
mich zur Tochter annehmen zu wollen. So auch
betrachtete der gutmuͤthige Beamtete dieſe Sache und
ertheilte ſeine Einwilligung.

Von hier an, mein geliebter Sohn, beginnt Deine
Mutter das Leben einer Opernſaͤngerin, mit ſeinen
Eitelkeiten, Siegen, Triumphen und Verirrungen.
Du weißt genug von der Welt, um Dir denken zu
koͤnnen, welch’ ein Daſein ich fuͤhrte. Ein Jahr des
Unterrichtes von einem trefflichen Singemeiſter, wie
man ſie fuͤr aͤhnliche Zwecke wohl nur in Jtalien fin-
det, hatte vollkommen hingereicht, mich bis zu dem-
jenigen Grade der Vollendung auszubilden, deſſen
meine natuͤrlichen Anlagen uͤberhaupt faͤhig waren.
Jch debuͤtirte bei kleineren Unternehmungen in Staͤd-
ten dritten Ranges mit Gluͤck. Man prophezei’te

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0262" n="258"/>
Gatten vermittelnd dazwi&#x017F;chen getreten. Die&#x017F;e bei-<lb/>
den Leute, die &#x017F;ich auf langen Rei&#x017F;en &#x017F;chon ein genu&#x0364;-<lb/>
gendes Vermo&#x0364;gen ge&#x017F;ammelt, &#x017F;tanden im Begriff,<lb/>
nach Venedig zuru&#x0364;ck zu kehren; &#x017F;ie erboten &#x017F;ich, mich<lb/>
mit &#x017F;ich zu nehmen und mir auf ihre Ko&#x017F;ten diejenige<lb/>
ku&#x0364;n&#x017F;tleri&#x017F;che Ausbildung ertheilen zu la&#x017F;&#x017F;en, die mich<lb/>
befa&#x0364;higen wu&#x0364;rde, eine Laufbahn als dramati&#x017F;che Sa&#x0364;n-<lb/>
gerin anzutreten. Da &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t keine Kinder be&#x017F;aßen,<lb/>
&#x017F;o konnte dies Anerbieten fu&#x0364;r eine Erkla&#x0364;rung gelten,<lb/>
mich zur Tochter annehmen zu wollen. So auch<lb/>
betrachtete der gutmu&#x0364;thige Beamtete die&#x017F;e Sache und<lb/>
ertheilte &#x017F;eine Einwilligung.</p><lb/>
        <p>Von hier an, mein geliebter Sohn, beginnt Deine<lb/>
Mutter das Leben einer Opern&#x017F;a&#x0364;ngerin, mit &#x017F;einen<lb/>
Eitelkeiten, Siegen, Triumphen und Verirrungen.<lb/>
Du weißt genug von der Welt, um Dir denken zu<lb/>
ko&#x0364;nnen, welch&#x2019; ein Da&#x017F;ein ich fu&#x0364;hrte. Ein Jahr des<lb/>
Unterrichtes von einem trefflichen Singemei&#x017F;ter, wie<lb/>
man &#x017F;ie fu&#x0364;r a&#x0364;hnliche Zwecke wohl nur in Jtalien fin-<lb/>
det, hatte vollkommen hingereicht, mich bis zu dem-<lb/>
jenigen Grade der Vollendung auszubilden, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
meine natu&#x0364;rlichen Anlagen u&#x0364;berhaupt fa&#x0364;hig waren.<lb/>
Jch debu&#x0364;tirte bei kleineren Unternehmungen in Sta&#x0364;d-<lb/>
ten dritten Ranges mit Glu&#x0364;ck. Man prophezei&#x2019;te<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0262] Gatten vermittelnd dazwiſchen getreten. Dieſe bei- den Leute, die ſich auf langen Reiſen ſchon ein genuͤ- gendes Vermoͤgen geſammelt, ſtanden im Begriff, nach Venedig zuruͤck zu kehren; ſie erboten ſich, mich mit ſich zu nehmen und mir auf ihre Koſten diejenige kuͤnſtleriſche Ausbildung ertheilen zu laſſen, die mich befaͤhigen wuͤrde, eine Laufbahn als dramatiſche Saͤn- gerin anzutreten. Da ſie ſelbſt keine Kinder beſaßen, ſo konnte dies Anerbieten fuͤr eine Erklaͤrung gelten, mich zur Tochter annehmen zu wollen. So auch betrachtete der gutmuͤthige Beamtete dieſe Sache und ertheilte ſeine Einwilligung. Von hier an, mein geliebter Sohn, beginnt Deine Mutter das Leben einer Opernſaͤngerin, mit ſeinen Eitelkeiten, Siegen, Triumphen und Verirrungen. Du weißt genug von der Welt, um Dir denken zu koͤnnen, welch’ ein Daſein ich fuͤhrte. Ein Jahr des Unterrichtes von einem trefflichen Singemeiſter, wie man ſie fuͤr aͤhnliche Zwecke wohl nur in Jtalien fin- det, hatte vollkommen hingereicht, mich bis zu dem- jenigen Grade der Vollendung auszubilden, deſſen meine natuͤrlichen Anlagen uͤberhaupt faͤhig waren. Jch debuͤtirte bei kleineren Unternehmungen in Staͤd- ten dritten Ranges mit Gluͤck. Man prophezei’te

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/262
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/262>, abgerufen am 23.11.2024.