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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

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machte auf der Landstraße die Bekanntschaft zweier
böhmischen Harfenmädchen, die von einem jungen
Menschen begleitet, durch's Land zogen. Sie redeten
mich an, wie ihres Gleichen, und in meiner völligen
Rathlosigkeit nahm ich ihre Anerbietungen an, mit
ihnen zu gehen. Sie machten mich in einem Dorf-
wirthshause, wo sie anhielten, singen, nachdem ich
ihnen entdeckt, daß ich in Musik und Gesang auf-
gewachsen sei. Jhre Freude über meine Stimme und
Vortrag war unverstellt, wenn auch nicht uneigen-
nützig, denn sie setzten mir dringend zu, mit ihnen in
Gemeinschaft zu treten. Zu diesem Zweck suchten sie
aus ihren Reisebündeln allerlei hervor, wodurch meine
Tracht der ihrigen möglichst ähnlich wurde, begrüßten
mich sodann als Kameradin und zwangen mich, --
wenn Bitten und Versprechungen Zwang genannt
werden dürfen, -- sie ferner zu begleiten. Unter ihrem
Schutze kam ich freilich ohne Schwierigkeit von einem
Ort zum andern, weil sie überall bekannt und ver-
traut, gar nirgend angehalten, oder befragt wurden.
Doch mußt' ich diesen Schutz theuer genug erkau-
fen, da Männer jedes Alters und Standes gegen
mich denselben freien Ton annehmen wollten, an
den sie bei meinen Gefährtinnen gewöhnt waren.

machte auf der Landſtraße die Bekanntſchaft zweier
boͤhmiſchen Harfenmaͤdchen, die von einem jungen
Menſchen begleitet, durch’s Land zogen. Sie redeten
mich an, wie ihres Gleichen, und in meiner voͤlligen
Rathloſigkeit nahm ich ihre Anerbietungen an, mit
ihnen zu gehen. Sie machten mich in einem Dorf-
wirthshauſe, wo ſie anhielten, ſingen, nachdem ich
ihnen entdeckt, daß ich in Muſik und Geſang auf-
gewachſen ſei. Jhre Freude uͤber meine Stimme und
Vortrag war unverſtellt, wenn auch nicht uneigen-
nuͤtzig, denn ſie ſetzten mir dringend zu, mit ihnen in
Gemeinſchaft zu treten. Zu dieſem Zweck ſuchten ſie
aus ihren Reiſebuͤndeln allerlei hervor, wodurch meine
Tracht der ihrigen moͤglichſt aͤhnlich wurde, begruͤßten
mich ſodann als Kameradin und zwangen mich, —
wenn Bitten und Verſprechungen Zwang genannt
werden duͤrfen, — ſie ferner zu begleiten. Unter ihrem
Schutze kam ich freilich ohne Schwierigkeit von einem
Ort zum andern, weil ſie uͤberall bekannt und ver-
traut, gar nirgend angehalten, oder befragt wurden.
Doch mußt’ ich dieſen Schutz theuer genug erkau-
fen, da Maͤnner jedes Alters und Standes gegen
mich denſelben freien Ton annehmen wollten, an
den ſie bei meinen Gefaͤhrtinnen gewoͤhnt waren.

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[250/0254] machte auf der Landſtraße die Bekanntſchaft zweier boͤhmiſchen Harfenmaͤdchen, die von einem jungen Menſchen begleitet, durch’s Land zogen. Sie redeten mich an, wie ihres Gleichen, und in meiner voͤlligen Rathloſigkeit nahm ich ihre Anerbietungen an, mit ihnen zu gehen. Sie machten mich in einem Dorf- wirthshauſe, wo ſie anhielten, ſingen, nachdem ich ihnen entdeckt, daß ich in Muſik und Geſang auf- gewachſen ſei. Jhre Freude uͤber meine Stimme und Vortrag war unverſtellt, wenn auch nicht uneigen- nuͤtzig, denn ſie ſetzten mir dringend zu, mit ihnen in Gemeinſchaft zu treten. Zu dieſem Zweck ſuchten ſie aus ihren Reiſebuͤndeln allerlei hervor, wodurch meine Tracht der ihrigen moͤglichſt aͤhnlich wurde, begruͤßten mich ſodann als Kameradin und zwangen mich, — wenn Bitten und Verſprechungen Zwang genannt werden duͤrfen, — ſie ferner zu begleiten. Unter ihrem Schutze kam ich freilich ohne Schwierigkeit von einem Ort zum andern, weil ſie uͤberall bekannt und ver- traut, gar nirgend angehalten, oder befragt wurden. Doch mußt’ ich dieſen Schutz theuer genug erkau- fen, da Maͤnner jedes Alters und Standes gegen mich denſelben freien Ton annehmen wollten, an den ſie bei meinen Gefaͤhrtinnen gewoͤhnt waren.

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/254>, abgerufen am 23.11.2024.