machte auf der Landstraße die Bekanntschaft zweier böhmischen Harfenmädchen, die von einem jungen Menschen begleitet, durch's Land zogen. Sie redeten mich an, wie ihres Gleichen, und in meiner völligen Rathlosigkeit nahm ich ihre Anerbietungen an, mit ihnen zu gehen. Sie machten mich in einem Dorf- wirthshause, wo sie anhielten, singen, nachdem ich ihnen entdeckt, daß ich in Musik und Gesang auf- gewachsen sei. Jhre Freude über meine Stimme und Vortrag war unverstellt, wenn auch nicht uneigen- nützig, denn sie setzten mir dringend zu, mit ihnen in Gemeinschaft zu treten. Zu diesem Zweck suchten sie aus ihren Reisebündeln allerlei hervor, wodurch meine Tracht der ihrigen möglichst ähnlich wurde, begrüßten mich sodann als Kameradin und zwangen mich, -- wenn Bitten und Versprechungen Zwang genannt werden dürfen, -- sie ferner zu begleiten. Unter ihrem Schutze kam ich freilich ohne Schwierigkeit von einem Ort zum andern, weil sie überall bekannt und ver- traut, gar nirgend angehalten, oder befragt wurden. Doch mußt' ich diesen Schutz theuer genug erkau- fen, da Männer jedes Alters und Standes gegen mich denselben freien Ton annehmen wollten, an den sie bei meinen Gefährtinnen gewöhnt waren.
machte auf der Landſtraße die Bekanntſchaft zweier boͤhmiſchen Harfenmaͤdchen, die von einem jungen Menſchen begleitet, durch’s Land zogen. Sie redeten mich an, wie ihres Gleichen, und in meiner voͤlligen Rathloſigkeit nahm ich ihre Anerbietungen an, mit ihnen zu gehen. Sie machten mich in einem Dorf- wirthshauſe, wo ſie anhielten, ſingen, nachdem ich ihnen entdeckt, daß ich in Muſik und Geſang auf- gewachſen ſei. Jhre Freude uͤber meine Stimme und Vortrag war unverſtellt, wenn auch nicht uneigen- nuͤtzig, denn ſie ſetzten mir dringend zu, mit ihnen in Gemeinſchaft zu treten. Zu dieſem Zweck ſuchten ſie aus ihren Reiſebuͤndeln allerlei hervor, wodurch meine Tracht der ihrigen moͤglichſt aͤhnlich wurde, begruͤßten mich ſodann als Kameradin und zwangen mich, — wenn Bitten und Verſprechungen Zwang genannt werden duͤrfen, — ſie ferner zu begleiten. Unter ihrem Schutze kam ich freilich ohne Schwierigkeit von einem Ort zum andern, weil ſie uͤberall bekannt und ver- traut, gar nirgend angehalten, oder befragt wurden. Doch mußt’ ich dieſen Schutz theuer genug erkau- fen, da Maͤnner jedes Alters und Standes gegen mich denſelben freien Ton annehmen wollten, an den ſie bei meinen Gefaͤhrtinnen gewoͤhnt waren.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0254"n="250"/>
machte auf der Landſtraße die Bekanntſchaft zweier<lb/>
boͤhmiſchen Harfenmaͤdchen, die von einem jungen<lb/>
Menſchen begleitet, durch’s Land zogen. Sie redeten<lb/>
mich an, wie ihres Gleichen, und in meiner voͤlligen<lb/>
Rathloſigkeit nahm ich ihre Anerbietungen an, mit<lb/>
ihnen zu gehen. Sie machten mich in einem Dorf-<lb/>
wirthshauſe, wo ſie anhielten, ſingen, nachdem ich<lb/>
ihnen entdeckt, daß ich in Muſik und Geſang auf-<lb/>
gewachſen ſei. Jhre Freude uͤber meine Stimme und<lb/>
Vortrag war unverſtellt, wenn auch nicht uneigen-<lb/>
nuͤtzig, denn ſie ſetzten mir dringend zu, mit ihnen in<lb/>
Gemeinſchaft zu treten. Zu dieſem Zweck ſuchten ſie<lb/>
aus ihren Reiſebuͤndeln allerlei hervor, wodurch meine<lb/>
Tracht der ihrigen moͤglichſt aͤhnlich wurde, begruͤßten<lb/>
mich ſodann als Kameradin und zwangen mich, —<lb/>
wenn Bitten und Verſprechungen <hirendition="#g">Zwang</hi> genannt<lb/>
werden duͤrfen, —ſie ferner zu begleiten. Unter ihrem<lb/>
Schutze kam ich freilich ohne Schwierigkeit von einem<lb/>
Ort zum andern, weil ſie uͤberall bekannt und ver-<lb/>
traut, gar nirgend angehalten, oder befragt wurden.<lb/>
Doch mußt’ ich dieſen Schutz theuer genug erkau-<lb/>
fen, da Maͤnner jedes Alters und Standes gegen<lb/>
mich denſelben freien Ton annehmen wollten, an<lb/>
den ſie bei meinen Gefaͤhrtinnen gewoͤhnt waren.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[250/0254]
machte auf der Landſtraße die Bekanntſchaft zweier
boͤhmiſchen Harfenmaͤdchen, die von einem jungen
Menſchen begleitet, durch’s Land zogen. Sie redeten
mich an, wie ihres Gleichen, und in meiner voͤlligen
Rathloſigkeit nahm ich ihre Anerbietungen an, mit
ihnen zu gehen. Sie machten mich in einem Dorf-
wirthshauſe, wo ſie anhielten, ſingen, nachdem ich
ihnen entdeckt, daß ich in Muſik und Geſang auf-
gewachſen ſei. Jhre Freude uͤber meine Stimme und
Vortrag war unverſtellt, wenn auch nicht uneigen-
nuͤtzig, denn ſie ſetzten mir dringend zu, mit ihnen in
Gemeinſchaft zu treten. Zu dieſem Zweck ſuchten ſie
aus ihren Reiſebuͤndeln allerlei hervor, wodurch meine
Tracht der ihrigen moͤglichſt aͤhnlich wurde, begruͤßten
mich ſodann als Kameradin und zwangen mich, —
wenn Bitten und Verſprechungen Zwang genannt
werden duͤrfen, — ſie ferner zu begleiten. Unter ihrem
Schutze kam ich freilich ohne Schwierigkeit von einem
Ort zum andern, weil ſie uͤberall bekannt und ver-
traut, gar nirgend angehalten, oder befragt wurden.
Doch mußt’ ich dieſen Schutz theuer genug erkau-
fen, da Maͤnner jedes Alters und Standes gegen
mich denſelben freien Ton annehmen wollten, an
den ſie bei meinen Gefaͤhrtinnen gewoͤhnt waren.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/254>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.