von meinem Kinde unmütterlich getrennt, durch sträf- lichen Jngrimm; indem ich nur Mangel, Gefahr, Tod vor mir sah, weh'te mich aus den Düften dieses Prachthauses eine üppig-verlockende Luft mit Zauber- hauche an; rief mir eine lüsterne Stimme zu: Auch Du wirst noch leben und lieben!
Das ist der entzückende Leichtsinn der Jugendkraft, der mich damals durchströmte; den ich heute, wo ich, ein sterbendes Weib, diese Zeilen mühselig zu Papiere bringe, selbst nicht mehr begreife. Doch seiner zu erinnern vermag ich mich noch; vermag ich mich noch so deutlich, daß ich sagen möchte: diese fürchter- lichste Nacht meines Lebens war zugleich die gött- lichste. Das klingt wahnsinnig, Anton, und dennoch ist es wahr.
Erst als ich vor Ermattung, im strengsten Sinne des Wortes, nicht mehr stehen konnte, sucht' ich mein Lager und versank sogleich in todtähnlichen Schlaf. Und als ich aus diesem spät am Tage aufwachte, war die nächtliche Bezauberung verschwunden; ich erwachte zum ganzen, unverhüllten Jammer der Wirklichkeit.
Die Gärtnerleute schienen beauftragt, mir allerlei Anerbietungen zu machen. Jch wußte ihnen auszu-
von meinem Kinde unmuͤtterlich getrennt, durch ſtraͤf- lichen Jngrimm; indem ich nur Mangel, Gefahr, Tod vor mir ſah, weh’te mich aus den Duͤften dieſes Prachthauſes eine uͤppig-verlockende Luft mit Zauber- hauche an; rief mir eine luͤſterne Stimme zu: Auch Du wirſt noch leben und lieben!
Das iſt der entzuͤckende Leichtſinn der Jugendkraft, der mich damals durchſtroͤmte; den ich heute, wo ich, ein ſterbendes Weib, dieſe Zeilen muͤhſelig zu Papiere bringe, ſelbſt nicht mehr begreife. Doch ſeiner zu erinnern vermag ich mich noch; vermag ich mich noch ſo deutlich, daß ich ſagen moͤchte: dieſe fuͤrchter- lichſte Nacht meines Lebens war zugleich die goͤtt- lichſte. Das klingt wahnſinnig, Anton, und dennoch iſt es wahr.
Erſt als ich vor Ermattung, im ſtrengſten Sinne des Wortes, nicht mehr ſtehen konnte, ſucht’ ich mein Lager und verſank ſogleich in todtaͤhnlichen Schlaf. Und als ich aus dieſem ſpaͤt am Tage aufwachte, war die naͤchtliche Bezauberung verſchwunden; ich erwachte zum ganzen, unverhuͤllten Jammer der Wirklichkeit.
Die Gaͤrtnerleute ſchienen beauftragt, mir allerlei Anerbietungen zu machen. Jch wußte ihnen auszu-
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von meinem Kinde unmuͤtterlich getrennt, durch ſtraͤf-
lichen Jngrimm; indem ich nur Mangel, Gefahr,
Tod vor mir ſah, weh’te mich aus den Duͤften dieſes
Prachthauſes eine uͤppig-verlockende Luft mit Zauber-
hauche an; rief mir eine luͤſterne Stimme zu: Auch
Du wirſt noch leben und lieben!
Das iſt der entzuͤckende Leichtſinn der Jugendkraft,
der mich damals durchſtroͤmte; den ich heute, wo ich,
ein ſterbendes Weib, dieſe Zeilen muͤhſelig zu Papiere
bringe, ſelbſt nicht mehr begreife. Doch ſeiner zu
erinnern vermag ich mich noch; vermag ich mich
noch ſo deutlich, daß ich ſagen moͤchte: dieſe fuͤrchter-
lichſte Nacht meines Lebens war zugleich die goͤtt-
lichſte. Das klingt wahnſinnig, Anton, und dennoch
iſt es wahr.
Erſt als ich vor Ermattung, im ſtrengſten Sinne
des Wortes, nicht mehr ſtehen konnte, ſucht’ ich mein
Lager und verſank ſogleich in todtaͤhnlichen Schlaf.
Und als ich aus dieſem ſpaͤt am Tage aufwachte,
war die naͤchtliche Bezauberung verſchwunden; ich
erwachte zum ganzen, unverhuͤllten Jammer der
Wirklichkeit.
Die Gaͤrtnerleute ſchienen beauftragt, mir allerlei
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/243>, abgerufen am 26.07.2024.
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