Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Erlenstein führt, wo Guido's Eltern hauseten. Zu
denen trieb mich mein beleidigtes Ehrgefühl. Seiner
Mutter wollt' ich die Antwort auf ihre schriftlichen
Anklagen und Verläumdungen mündlich bringen;
dann erst wollt' ich sterben.

Als wir vor dem Thore von G. anlangten, ließ
der alte Christian mich absteigen. Jch war so durch-
näßt und meine Kleidung so feucht und schwer, daß
sie mich fast darniederzog. Christian versprach, der
Mutter Nachricht von mir zu geben, ihr zu sagen,
wohin ich gegangen und daß ich bei Zeiten heimkeh-
ren wolle. Er hat sein Versprechen nicht erfüllen
können; denn auf dem Rückwege nach N. ist er an
einer tiefen Stelle der Straße, die schon unter Was-
ser stand, als wir kamen, sammt seinem Braunen
ertrunken. Die Kunde von diesem Unglücksfall
gelangte nach G., bevor ich es verließ. Jch hatte
daselbst ein Unterkommen für die Nacht gefunden, wo
ich mich wärmen, und Wäsche wie Kleider trocknen
durfte; es war in der Vorstadt bei einem Gerber
Namens Karich. Er und seine Frau hatten Mit-
leid und Erbarmen für mich, obgleich sie nur Einiges
von meinem traurigen Schicksal durch mich erfuhren.
Sie nahmen Theil an einer Familie, die durch ihr

Erlenſtein fuͤhrt, wo Guido’s Eltern hauſeten. Zu
denen trieb mich mein beleidigtes Ehrgefuͤhl. Seiner
Mutter wollt’ ich die Antwort auf ihre ſchriftlichen
Anklagen und Verlaͤumdungen muͤndlich bringen;
dann erſt wollt’ ich ſterben.

Als wir vor dem Thore von G. anlangten, ließ
der alte Chriſtian mich abſteigen. Jch war ſo durch-
naͤßt und meine Kleidung ſo feucht und ſchwer, daß
ſie mich faſt darniederzog. Chriſtian verſprach, der
Mutter Nachricht von mir zu geben, ihr zu ſagen,
wohin ich gegangen und daß ich bei Zeiten heimkeh-
ren wolle. Er hat ſein Verſprechen nicht erfuͤllen
koͤnnen; denn auf dem Ruͤckwege nach N. iſt er an
einer tiefen Stelle der Straße, die ſchon unter Waſ-
ſer ſtand, als wir kamen, ſammt ſeinem Braunen
ertrunken. Die Kunde von dieſem Ungluͤcksfall
gelangte nach G., bevor ich es verließ. Jch hatte
daſelbſt ein Unterkommen fuͤr die Nacht gefunden, wo
ich mich waͤrmen, und Waͤſche wie Kleider trocknen
durfte; es war in der Vorſtadt bei einem Gerber
Namens Karich. Er und ſeine Frau hatten Mit-
leid und Erbarmen fuͤr mich, obgleich ſie nur Einiges
von meinem traurigen Schickſal durch mich erfuhren.
Sie nahmen Theil an einer Familie, die durch ihr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0226" n="222"/>
Erlen&#x017F;tein fu&#x0364;hrt, wo Guido&#x2019;s Eltern hau&#x017F;eten. Zu<lb/>
denen trieb mich mein beleidigtes Ehrgefu&#x0364;hl. Seiner<lb/>
Mutter wollt&#x2019; ich die Antwort auf ihre &#x017F;chriftlichen<lb/>
Anklagen und Verla&#x0364;umdungen mu&#x0364;ndlich bringen;<lb/><hi rendition="#g">dann</hi> er&#x017F;t wollt&#x2019; ich &#x017F;terben.</p><lb/>
        <p>Als wir vor dem Thore von G. anlangten, ließ<lb/>
der alte Chri&#x017F;tian mich ab&#x017F;teigen. Jch war &#x017F;o durch-<lb/>
na&#x0364;ßt und meine Kleidung &#x017F;o feucht und &#x017F;chwer, daß<lb/>
&#x017F;ie mich fa&#x017F;t darniederzog. Chri&#x017F;tian ver&#x017F;prach, der<lb/>
Mutter Nachricht von mir zu geben, ihr zu &#x017F;agen,<lb/>
wohin ich gegangen und daß ich bei Zeiten heimkeh-<lb/>
ren wolle. Er hat &#x017F;ein Ver&#x017F;prechen nicht erfu&#x0364;llen<lb/>
ko&#x0364;nnen; denn auf dem Ru&#x0364;ckwege nach N. i&#x017F;t er an<lb/>
einer tiefen Stelle der Straße, die &#x017F;chon unter Wa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er &#x017F;tand, als wir kamen, &#x017F;ammt &#x017F;einem Braunen<lb/>
ertrunken. Die Kunde von die&#x017F;em Unglu&#x0364;cksfall<lb/>
gelangte nach G., bevor ich es verließ. Jch hatte<lb/>
da&#x017F;elb&#x017F;t ein Unterkommen fu&#x0364;r die Nacht gefunden, wo<lb/>
ich mich wa&#x0364;rmen, und Wa&#x0364;&#x017F;che wie Kleider trocknen<lb/>
durfte; es war in der Vor&#x017F;tadt bei einem Gerber<lb/>
Namens <hi rendition="#g">Karich.</hi> Er und &#x017F;eine Frau hatten Mit-<lb/>
leid und Erbarmen fu&#x0364;r mich, obgleich &#x017F;ie nur Einiges<lb/>
von meinem traurigen Schick&#x017F;al durch mich erfuhren.<lb/>
Sie nahmen Theil an einer Familie, die durch ihr<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[222/0226] Erlenſtein fuͤhrt, wo Guido’s Eltern hauſeten. Zu denen trieb mich mein beleidigtes Ehrgefuͤhl. Seiner Mutter wollt’ ich die Antwort auf ihre ſchriftlichen Anklagen und Verlaͤumdungen muͤndlich bringen; dann erſt wollt’ ich ſterben. Als wir vor dem Thore von G. anlangten, ließ der alte Chriſtian mich abſteigen. Jch war ſo durch- naͤßt und meine Kleidung ſo feucht und ſchwer, daß ſie mich faſt darniederzog. Chriſtian verſprach, der Mutter Nachricht von mir zu geben, ihr zu ſagen, wohin ich gegangen und daß ich bei Zeiten heimkeh- ren wolle. Er hat ſein Verſprechen nicht erfuͤllen koͤnnen; denn auf dem Ruͤckwege nach N. iſt er an einer tiefen Stelle der Straße, die ſchon unter Waſ- ſer ſtand, als wir kamen, ſammt ſeinem Braunen ertrunken. Die Kunde von dieſem Ungluͤcksfall gelangte nach G., bevor ich es verließ. Jch hatte daſelbſt ein Unterkommen fuͤr die Nacht gefunden, wo ich mich waͤrmen, und Waͤſche wie Kleider trocknen durfte; es war in der Vorſtadt bei einem Gerber Namens Karich. Er und ſeine Frau hatten Mit- leid und Erbarmen fuͤr mich, obgleich ſie nur Einiges von meinem traurigen Schickſal durch mich erfuhren. Sie nahmen Theil an einer Familie, die durch ihr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/226
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/226>, abgerufen am 17.05.2024.