noch nicht, du bist noch zu jung! Der Postillon kam [kam] heran; es war der alte Christian, seit länger als dreißig Jahren im Dienste beim Posthalter. Jch rief ihm zu: Christian, wohin fahrt Jhr? Mein Gott, rief er, steht ein menschliches Wesen auf der Brücken- mauer bei dem Wetter, oder ist es ein Geist? Jch bin es, sagt' ich, des Kantors Nettel und wohin fahrt Jhr? Nicht fahren, sprach er, ich bin eine reitende Staffette, aber weil mein Brauner auf dem Rücken wund gedrückt ist, hat der Posthalter verlaubt, daß ich in die Briefkarre einspanne; ich muß schnell fah- ren -- reiten wollt' ich sagen -- denn ich soll rascher in G. sein, wie das große Wasser, weil ich's ihnen unten anmelden soll, daß es kommt und im Briefe von Herrn Landrath steht's auch geschrieben, daß sie's weiter hinunter melden lassen, in's flache Land hin- ein. Aber Nettel, was wollen Sie bei'm heiligen Nepomuck? Sie haben gewiß schlechte Gedanken!
"Ja, Christian, die hab' ich; rette mich, nimm mich mit Dir!"
Und ich sprang zu ihm auf seine Karre, der Braune griff aus, wir flogen in die Nacht, in den Thausturm und die Regengüsse hinein.
Mir war eingefallen, daß über G. der Weg nach
noch nicht, du biſt noch zu jung! Der Poſtillon kam [kam] heran; es war der alte Chriſtian, ſeit laͤnger als dreißig Jahren im Dienſte beim Poſthalter. Jch rief ihm zu: Chriſtian, wohin fahrt Jhr? Mein Gott, rief er, ſteht ein menſchliches Weſen auf der Bruͤcken- mauer bei dem Wetter, oder iſt es ein Geiſt? Jch bin es, ſagt’ ich, des Kantors Nettel und wohin fahrt Jhr? Nicht fahren, ſprach er, ich bin eine reitende Staffette, aber weil mein Brauner auf dem Ruͤcken wund gedruͤckt iſt, hat der Poſthalter verlaubt, daß ich in die Briefkarre einſpanne; ich muß ſchnell fah- ren — reiten wollt’ ich ſagen — denn ich ſoll raſcher in G. ſein, wie das große Waſſer, weil ich’s ihnen unten anmelden ſoll, daß es kommt und im Briefe von Herrn Landrath ſteht’s auch geſchrieben, daß ſie’s weiter hinunter melden laſſen, in’s flache Land hin- ein. Aber Nettel, was wollen Sie bei’m heiligen Nepomuck? Sie haben gewiß ſchlechte Gedanken!
„Ja, Chriſtian, die hab’ ich; rette mich, nimm mich mit Dir!“
Und ich ſprang zu ihm auf ſeine Karre, der Braune griff aus, wir flogen in die Nacht, in den Thauſturm und die Regenguͤſſe hinein.
Mir war eingefallen, daß uͤber G. der Weg nach
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noch nicht, du biſt noch zu jung! Der Poſtillon kam
kam heran; es war der alte Chriſtian, ſeit laͤnger als
dreißig Jahren im Dienſte beim Poſthalter. Jch rief
ihm zu: Chriſtian, wohin fahrt Jhr? Mein Gott, rief
er, ſteht ein menſchliches Weſen auf der Bruͤcken-
mauer bei dem Wetter, oder iſt es ein Geiſt? Jch bin
es, ſagt’ ich, des Kantors Nettel und wohin fahrt
Jhr? Nicht fahren, ſprach er, ich bin eine reitende
Staffette, aber weil mein Brauner auf dem Ruͤcken
wund gedruͤckt iſt, hat der Poſthalter verlaubt, daß
ich in die Briefkarre einſpanne; ich muß ſchnell fah-
ren — reiten wollt’ ich ſagen — denn ich ſoll raſcher
in G. ſein, wie das große Waſſer, weil ich’s ihnen
unten anmelden ſoll, daß es kommt und im Briefe von
Herrn Landrath ſteht’s auch geſchrieben, daß ſie’s
weiter hinunter melden laſſen, in’s flache Land hin-
ein. Aber Nettel, was wollen Sie bei’m heiligen
Nepomuck? Sie haben gewiß ſchlechte Gedanken!
„Ja, Chriſtian, die hab’ ich; rette mich, nimm
mich mit Dir!“
Und ich ſprang zu ihm auf ſeine Karre, der
Braune griff aus, wir flogen in die Nacht, in den
Thauſturm und die Regenguͤſſe hinein.
Mir war eingefallen, daß uͤber G. der Weg nach
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/225>, abgerufen am 26.07.2024.
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