Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Kind Kummer erlebte, da ihr Sohn ihnen auch Kum-
mer machte; er war vor einigen Jahren entlaufen
und die armen Eltern hatten nichts mehr von ihm
vernommen. Der Vater beklagte fast noch mehr als
den Verlust des Sohnes die Schande, die derselbe
über seinen Namen gebracht. "Meinen Bruder, den
Herrn Pastor," rief er weinend aus, "den trifft es
gar zu hart!" Er meinte niemand anders, als den
guten Prediger in Liebenau, welcher Dir, mein Anton,
späterhin Unterricht ertheilte. -- Wie doch die ver-
worrenen Fäden irdischer Schicksale so häufig von
einem Vereinigungspunkte ausgehen, ohne daß wir
selbst es wissen! Und wie sie, nach langer Sonde-
rung, sich dann wieder zusammenfinden, ohne daß
wir es ahnen. Du sollst weiter lesen.

Der niedergebeugte Mann hatte bei seinem eige-
nen Gram immer noch Theilnahme für den Gram
Anderer. Deshalb hielt er mich in seinem Hause fest
bis das Unwetter einigermaßen ausgetobt; seine
Frau versorgte mich mit reiner Wäsche und er gelei-
tete mich dann am dritten Tage selbst auf den Weg
nach Schloß Erlenstein.

Unterwegs vernahmen wir schon die Zerstörungen,
die das rasende Wasser in N. angerichtet; ein reisen-

Kind Kummer erlebte, da ihr Sohn ihnen auch Kum-
mer machte; er war vor einigen Jahren entlaufen
und die armen Eltern hatten nichts mehr von ihm
vernommen. Der Vater beklagte faſt noch mehr als
den Verluſt des Sohnes die Schande, die derſelbe
uͤber ſeinen Namen gebracht. „Meinen Bruder, den
Herrn Paſtor,“ rief er weinend aus, „den trifft es
gar zu hart!“ Er meinte niemand anders, als den
guten Prediger in Liebenau, welcher Dir, mein Anton,
ſpaͤterhin Unterricht ertheilte. — Wie doch die ver-
worrenen Faͤden irdiſcher Schickſale ſo haͤufig von
einem Vereinigungspunkte ausgehen, ohne daß wir
ſelbſt es wiſſen! Und wie ſie, nach langer Sonde-
rung, ſich dann wieder zuſammenfinden, ohne daß
wir es ahnen. Du ſollſt weiter leſen.

Der niedergebeugte Mann hatte bei ſeinem eige-
nen Gram immer noch Theilnahme fuͤr den Gram
Anderer. Deshalb hielt er mich in ſeinem Hauſe feſt
bis das Unwetter einigermaßen ausgetobt; ſeine
Frau verſorgte mich mit reiner Waͤſche und er gelei-
tete mich dann am dritten Tage ſelbſt auf den Weg
nach Schloß Erlenſtein.

Unterwegs vernahmen wir ſchon die Zerſtoͤrungen,
die das raſende Waſſer in N. angerichtet; ein reiſen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0227" n="223"/>
Kind Kummer erlebte, da ihr Sohn ihnen auch Kum-<lb/>
mer machte; er war vor einigen Jahren entlaufen<lb/>
und die armen Eltern hatten nichts mehr von ihm<lb/>
vernommen. Der Vater beklagte fa&#x017F;t noch mehr als<lb/>
den Verlu&#x017F;t des Sohnes die Schande, die der&#x017F;elbe<lb/>
u&#x0364;ber &#x017F;einen Namen gebracht. &#x201E;Meinen Bruder, den<lb/>
Herrn Pa&#x017F;tor,&#x201C; rief er weinend aus, &#x201E;den trifft es<lb/>
gar zu hart!&#x201C; Er meinte niemand anders, als den<lb/>
guten Prediger in Liebenau, welcher Dir, mein Anton,<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;terhin Unterricht ertheilte. &#x2014; Wie doch die ver-<lb/>
worrenen Fa&#x0364;den irdi&#x017F;cher Schick&#x017F;ale &#x017F;o ha&#x0364;ufig von<lb/>
einem Vereinigungspunkte ausgehen, ohne daß wir<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t es wi&#x017F;&#x017F;en! Und wie &#x017F;ie, nach langer Sonde-<lb/>
rung, &#x017F;ich dann wieder zu&#x017F;ammenfinden, ohne daß<lb/>
wir es ahnen. Du &#x017F;oll&#x017F;t weiter le&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Der niedergebeugte Mann hatte bei &#x017F;einem eige-<lb/>
nen Gram immer noch Theilnahme fu&#x0364;r den Gram<lb/>
Anderer. Deshalb hielt er mich in &#x017F;einem Hau&#x017F;e fe&#x017F;t<lb/>
bis das Unwetter einigermaßen ausgetobt; &#x017F;eine<lb/>
Frau ver&#x017F;orgte mich mit reiner Wa&#x0364;&#x017F;che und er gelei-<lb/>
tete mich dann am dritten Tage &#x017F;elb&#x017F;t auf den Weg<lb/>
nach Schloß Erlen&#x017F;tein.</p><lb/>
        <p>Unterwegs vernahmen wir &#x017F;chon die Zer&#x017F;to&#x0364;rungen,<lb/>
die das ra&#x017F;ende Wa&#x017F;&#x017F;er in N. angerichtet; ein rei&#x017F;en-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0227] Kind Kummer erlebte, da ihr Sohn ihnen auch Kum- mer machte; er war vor einigen Jahren entlaufen und die armen Eltern hatten nichts mehr von ihm vernommen. Der Vater beklagte faſt noch mehr als den Verluſt des Sohnes die Schande, die derſelbe uͤber ſeinen Namen gebracht. „Meinen Bruder, den Herrn Paſtor,“ rief er weinend aus, „den trifft es gar zu hart!“ Er meinte niemand anders, als den guten Prediger in Liebenau, welcher Dir, mein Anton, ſpaͤterhin Unterricht ertheilte. — Wie doch die ver- worrenen Faͤden irdiſcher Schickſale ſo haͤufig von einem Vereinigungspunkte ausgehen, ohne daß wir ſelbſt es wiſſen! Und wie ſie, nach langer Sonde- rung, ſich dann wieder zuſammenfinden, ohne daß wir es ahnen. Du ſollſt weiter leſen. Der niedergebeugte Mann hatte bei ſeinem eige- nen Gram immer noch Theilnahme fuͤr den Gram Anderer. Deshalb hielt er mich in ſeinem Hauſe feſt bis das Unwetter einigermaßen ausgetobt; ſeine Frau verſorgte mich mit reiner Waͤſche und er gelei- tete mich dann am dritten Tage ſelbſt auf den Weg nach Schloß Erlenſtein. Unterwegs vernahmen wir ſchon die Zerſtoͤrungen, die das raſende Waſſer in N. angerichtet; ein reiſen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/227
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/227>, abgerufen am 26.11.2024.