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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

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mer und Reitstall schmeckenden Anrede abriß, weil er
die Schönen nicht schön fand, oder ob er ver-
stummte, weil er einen ferngeglaubten, tödtlich-gehaß-
ten Gegner in Anton vor sich erblickte?

Anton erkannte seinerseits auf den ersten Blick
das einst in B. mit Adelen's Fahnenstock gezüchtigte
Gräflein. Er begriff sogleich, daß hier seines Blei-
bens nicht sei, benützte den günstigen Vorwand der
unterbrochenen Tanzlektion, um sich zurückzuziehen
und hatte nichts Eiligeres zu thun, als ein Schrei-
ben an den Herrn des Hauses aufzusetzen, worin er
sich entschuldigte, daß er genöthiget sei, plötzlich abzu-
reisen und so den Unterricht abzukürzen. Als er dies
Briefchen einem alten Diener übergab, konnte er
nicht umhin, an denselben noch eine Frage zu richten,
ob denn wirklich dieser kindisch aussehende, wüste
Jüngling als künftiger Bräutigam erschienen sei?
Der Alte, eingeweiht in die Familien-Verhältnisse,
bestätigte es und gab Gründe dafür an: Von Seiten
seiner Herrschaft die schon erwähnte Nothwendigkeit,
Geldrücksichten zu nehmen; von Seiten der Eltern
Louis die Hoffnung, daß ihr leichtsinniger Sohn in
so ernsten und strengen Umgebungen auf die Bahn
der Frömmigkeit und Tugend zurückgeführt werden

mer und Reitſtall ſchmeckenden Anrede abriß, weil er
die Schoͤnen nicht ſchoͤn fand, oder ob er ver-
ſtummte, weil er einen ferngeglaubten, toͤdtlich-gehaß-
ten Gegner in Anton vor ſich erblickte?

Anton erkannte ſeinerſeits auf den erſten Blick
das einſt in B. mit Adelen’s Fahnenſtock gezuͤchtigte
Graͤflein. Er begriff ſogleich, daß hier ſeines Blei-
bens nicht ſei, benuͤtzte den guͤnſtigen Vorwand der
unterbrochenen Tanzlektion, um ſich zuruͤckzuziehen
und hatte nichts Eiligeres zu thun, als ein Schrei-
ben an den Herrn des Hauſes aufzuſetzen, worin er
ſich entſchuldigte, daß er genoͤthiget ſei, ploͤtzlich abzu-
reiſen und ſo den Unterricht abzukuͤrzen. Als er dies
Briefchen einem alten Diener uͤbergab, konnte er
nicht umhin, an denſelben noch eine Frage zu richten,
ob denn wirklich dieſer kindiſch ausſehende, wuͤſte
Juͤngling als kuͤnftiger Braͤutigam erſchienen ſei?
Der Alte, eingeweiht in die Familien-Verhaͤltniſſe,
beſtaͤtigte es und gab Gruͤnde dafuͤr an: Von Seiten
ſeiner Herrſchaft die ſchon erwaͤhnte Nothwendigkeit,
Geldruͤckſichten zu nehmen; von Seiten der Eltern
Louis die Hoffnung, daß ihr leichtſinniger Sohn in
ſo ernſten und ſtrengen Umgebungen auf die Bahn
der Froͤmmigkeit und Tugend zuruͤckgefuͤhrt werden

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[165/0169] mer und Reitſtall ſchmeckenden Anrede abriß, weil er die Schoͤnen nicht ſchoͤn fand, oder ob er ver- ſtummte, weil er einen ferngeglaubten, toͤdtlich-gehaß- ten Gegner in Anton vor ſich erblickte? Anton erkannte ſeinerſeits auf den erſten Blick das einſt in B. mit Adelen’s Fahnenſtock gezuͤchtigte Graͤflein. Er begriff ſogleich, daß hier ſeines Blei- bens nicht ſei, benuͤtzte den guͤnſtigen Vorwand der unterbrochenen Tanzlektion, um ſich zuruͤckzuziehen und hatte nichts Eiligeres zu thun, als ein Schrei- ben an den Herrn des Hauſes aufzuſetzen, worin er ſich entſchuldigte, daß er genoͤthiget ſei, ploͤtzlich abzu- reiſen und ſo den Unterricht abzukuͤrzen. Als er dies Briefchen einem alten Diener uͤbergab, konnte er nicht umhin, an denſelben noch eine Frage zu richten, ob denn wirklich dieſer kindiſch ausſehende, wuͤſte Juͤngling als kuͤnftiger Braͤutigam erſchienen ſei? Der Alte, eingeweiht in die Familien-Verhaͤltniſſe, beſtaͤtigte es und gab Gruͤnde dafuͤr an: Von Seiten ſeiner Herrſchaft die ſchon erwaͤhnte Nothwendigkeit, Geldruͤckſichten zu nehmen; von Seiten der Eltern Louis die Hoffnung, daß ihr leichtſinniger Sohn in ſo ernſten und ſtrengen Umgebungen auf die Bahn der Froͤmmigkeit und Tugend zuruͤckgefuͤhrt werden

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/169>, abgerufen am 24.11.2024.