Während sie das Abendbrot bereitet, geh' ich an's Werk. Geschehe dann, was wolle!
Jch schwöre mir's: heute oder nie!"
Vom 22. Dezember.
"Pfui, der Schande! --
Damit die Schande vollkommen und mir zugleich eine Lehre sei für's künftige Leben, will ich zur Strafe meiner dummen Jungen-Eitelkeit wörtlich nieder- schreiben, was mir widerfahren ist. Wahr und auf- richtig.
Nachdem ich gestern, während sie in der Küche schaffte, meinen Plan ausgeführt, den Stubenschlüssel im Schlosse zerbrochen, den Nachtriegel abgezwickt, das kleine Vorlegekettchen ausgerissen, begab ich mich zum Essen hinunter, doch ohne viel Appetit. So lange wir beim Tische saßen, verschlang ich nur sie -- mit den Augen; mochte keinen andern Bissen; dachte nur, wie ich bei ihr eindringen wollte.
Sie räumte ab, wie gewöhnlich; sagte dem Vater gute Nacht, wie gewöhnlich; ging zur Ruhe, wie gewöhnlich.
Kaum konnte sie nach meiner Berechnung in ihrem Zimmer sein, als ich desgleichen aufbrach.
Waͤhrend ſie das Abendbrot bereitet, geh’ ich an’s Werk. Geſchehe dann, was wolle!
Jch ſchwoͤre mir’s: heute oder nie!“
Vom 22. Dezember.
„Pfui, der Schande! —
Damit die Schande vollkommen und mir zugleich eine Lehre ſei fuͤr’s kuͤnftige Leben, will ich zur Strafe meiner dummen Jungen-Eitelkeit woͤrtlich nieder- ſchreiben, was mir widerfahren iſt. Wahr und auf- richtig.
Nachdem ich geſtern, waͤhrend ſie in der Kuͤche ſchaffte, meinen Plan ausgefuͤhrt, den Stubenſchluͤſſel im Schloſſe zerbrochen, den Nachtriegel abgezwickt, das kleine Vorlegekettchen ausgeriſſen, begab ich mich zum Eſſen hinunter, doch ohne viel Appetit. So lange wir beim Tiſche ſaßen, verſchlang ich nur ſie — mit den Augen; mochte keinen andern Biſſen; dachte nur, wie ich bei ihr eindringen wollte.
Sie raͤumte ab, wie gewoͤhnlich; ſagte dem Vater gute Nacht, wie gewoͤhnlich; ging zur Ruhe, wie gewoͤhnlich.
Kaum konnte ſie nach meiner Berechnung in ihrem Zimmer ſein, als ich desgleichen aufbrach.
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Waͤhrend ſie das Abendbrot bereitet, geh’ ich an’s
Werk. Geſchehe dann, was wolle!
Jch ſchwoͤre mir’s: heute oder nie!“
Vom 22. Dezember.
„Pfui, der Schande! —
Damit die Schande vollkommen und mir zugleich
eine Lehre ſei fuͤr’s kuͤnftige Leben, will ich zur Strafe
meiner dummen Jungen-Eitelkeit woͤrtlich nieder-
ſchreiben, was mir widerfahren iſt. Wahr und auf-
richtig.
Nachdem ich geſtern, waͤhrend ſie in der Kuͤche
ſchaffte, meinen Plan ausgefuͤhrt, den Stubenſchluͤſſel
im Schloſſe zerbrochen, den Nachtriegel abgezwickt,
das kleine Vorlegekettchen ausgeriſſen, begab ich mich
zum Eſſen hinunter, doch ohne viel Appetit. So
lange wir beim Tiſche ſaßen, verſchlang ich nur ſie
— mit den Augen; mochte keinen andern Biſſen;
dachte nur, wie ich bei ihr eindringen wollte.
Sie raͤumte ab, wie gewoͤhnlich; ſagte dem Vater
gute Nacht, wie gewoͤhnlich; ging zur Ruhe, wie
gewoͤhnlich.
Kaum konnte ſie nach meiner Berechnung in ihrem
Zimmer ſein, als ich desgleichen aufbrach.
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/131>, abgerufen am 26.06.2024.
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