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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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Tournüre jetzt noch nachsteht, ist Jhnen an Festigkeit
und Schule weit überlegen. Jhm merkt man die
Peitsche an, die er von Kindheit auf gefühlt hat und
ohne die es bei uns nun einmal nicht geht; glauben
Sie mir, Antoine, ich spreche aus Erfahrung.

Die Aeußerungen seiner besten Freundin, klangen
ihm jetzt lebendig und beruhigend im Gedächtniß
nach. Sie trugen keinesweges bei, seine Einsamkeit
zu erheitern.

"Soll ich mein Leben vergeuden, indem ich es
anwende, dies oder jenes Violinsolo zu kratzen, wäh-
rend ich auf mäßig-galopirendem Pferde den Cirkus
durchreite? Bin ich zu nichts Besserem geboren?
Wär' es nicht klüger, ich säße in Liebenau und machte
Körbe? Wär' es nicht nützlicher? Wär' es nicht
beglückender? Oh! mein kleines stilles Häuschen!
Oh! meine alte treue Großmutter! Und Ottilie!" ...
Hier verstummte er. Sein Häuschen sah er im Geiste
vor sich; die Großmutter sah er, wie sie leibte und
lebte. Aber Ottiliens Bild vermochte er nicht mehr
festzuhalten; ihre Züge standen seiner Einbildungs-
kraft nicht mehr zu Gebote. Wenn er sie zu haben
glaubte, war es plötzlich die schelmisch-lächelnde
Laura, die er dachte; doch auch diese hielt nicht Stich

Tournuͤre jetzt noch nachſteht, iſt Jhnen an Feſtigkeit
und Schule weit uͤberlegen. Jhm merkt man die
Peitſche an, die er von Kindheit auf gefuͤhlt hat und
ohne die es bei uns nun einmal nicht geht; glauben
Sie mir, Antoine, ich ſpreche aus Erfahrung.

Die Aeußerungen ſeiner beſten Freundin, klangen
ihm jetzt lebendig und beruhigend im Gedaͤchtniß
nach. Sie trugen keinesweges bei, ſeine Einſamkeit
zu erheitern.

„Soll ich mein Leben vergeuden, indem ich es
anwende, dies oder jenes Violinſolo zu kratzen, waͤh-
rend ich auf maͤßig-galopirendem Pferde den Cirkus
durchreite? Bin ich zu nichts Beſſerem geboren?
Waͤr’ es nicht kluͤger, ich ſaͤße in Liebenau und machte
Koͤrbe? Waͤr’ es nicht nützlicher? Waͤr’ es nicht
begluͤckender? Oh! mein kleines ſtilles Haͤuschen!
Oh! meine alte treue Großmutter! Und Ottilie!“ ...
Hier verſtummte er. Sein Haͤuschen ſah er im Geiſte
vor ſich; die Großmutter ſah er, wie ſie leibte und
lebte. Aber Ottiliens Bild vermochte er nicht mehr
feſtzuhalten; ihre Zuͤge ſtanden ſeiner Einbildungs-
kraft nicht mehr zu Gebote. Wenn er ſie zu haben
glaubte, war es ploͤtzlich die ſchelmiſch-laͤchelnde
Laura, die er dachte; doch auch dieſe hielt nicht Stich

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[95/0097] Tournuͤre jetzt noch nachſteht, iſt Jhnen an Feſtigkeit und Schule weit uͤberlegen. Jhm merkt man die Peitſche an, die er von Kindheit auf gefuͤhlt hat und ohne die es bei uns nun einmal nicht geht; glauben Sie mir, Antoine, ich ſpreche aus Erfahrung. Die Aeußerungen ſeiner beſten Freundin, klangen ihm jetzt lebendig und beruhigend im Gedaͤchtniß nach. Sie trugen keinesweges bei, ſeine Einſamkeit zu erheitern. „Soll ich mein Leben vergeuden, indem ich es anwende, dies oder jenes Violinſolo zu kratzen, waͤh- rend ich auf maͤßig-galopirendem Pferde den Cirkus durchreite? Bin ich zu nichts Beſſerem geboren? Waͤr’ es nicht kluͤger, ich ſaͤße in Liebenau und machte Koͤrbe? Waͤr’ es nicht nützlicher? Waͤr’ es nicht begluͤckender? Oh! mein kleines ſtilles Haͤuschen! Oh! meine alte treue Großmutter! Und Ottilie!“ ... Hier verſtummte er. Sein Haͤuschen ſah er im Geiſte vor ſich; die Großmutter ſah er, wie ſie leibte und lebte. Aber Ottiliens Bild vermochte er nicht mehr feſtzuhalten; ihre Zuͤge ſtanden ſeiner Einbildungs- kraft nicht mehr zu Gebote. Wenn er ſie zu haben glaubte, war es ploͤtzlich die ſchelmiſch-laͤchelnde Laura, die er dachte; doch auch dieſe hielt nicht Stich

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/97>, abgerufen am 24.11.2024.