Tournüre jetzt noch nachsteht, ist Jhnen an Festigkeit und Schule weit überlegen. Jhm merkt man die Peitsche an, die er von Kindheit auf gefühlt hat und ohne die es bei uns nun einmal nicht geht; glauben Sie mir, Antoine, ich spreche aus Erfahrung.
Die Aeußerungen seiner besten Freundin, klangen ihm jetzt lebendig und beruhigend im Gedächtniß nach. Sie trugen keinesweges bei, seine Einsamkeit zu erheitern.
"Soll ich mein Leben vergeuden, indem ich es anwende, dies oder jenes Violinsolo zu kratzen, wäh- rend ich auf mäßig-galopirendem Pferde den Cirkus durchreite? Bin ich zu nichts Besserem geboren? Wär' es nicht klüger, ich säße in Liebenau und machte Körbe? Wär' es nicht nützlicher? Wär' es nicht beglückender? Oh! mein kleines stilles Häuschen! Oh! meine alte treue Großmutter! Und Ottilie!" ... Hier verstummte er. Sein Häuschen sah er im Geiste vor sich; die Großmutter sah er, wie sie leibte und lebte. Aber Ottiliens Bild vermochte er nicht mehr festzuhalten; ihre Züge standen seiner Einbildungs- kraft nicht mehr zu Gebote. Wenn er sie zu haben glaubte, war es plötzlich die schelmisch-lächelnde Laura, die er dachte; doch auch diese hielt nicht Stich
Tournuͤre jetzt noch nachſteht, iſt Jhnen an Feſtigkeit und Schule weit uͤberlegen. Jhm merkt man die Peitſche an, die er von Kindheit auf gefuͤhlt hat und ohne die es bei uns nun einmal nicht geht; glauben Sie mir, Antoine, ich ſpreche aus Erfahrung.
Die Aeußerungen ſeiner beſten Freundin, klangen ihm jetzt lebendig und beruhigend im Gedaͤchtniß nach. Sie trugen keinesweges bei, ſeine Einſamkeit zu erheitern.
„Soll ich mein Leben vergeuden, indem ich es anwende, dies oder jenes Violinſolo zu kratzen, waͤh- rend ich auf maͤßig-galopirendem Pferde den Cirkus durchreite? Bin ich zu nichts Beſſerem geboren? Waͤr’ es nicht kluͤger, ich ſaͤße in Liebenau und machte Koͤrbe? Waͤr’ es nicht nützlicher? Waͤr’ es nicht begluͤckender? Oh! mein kleines ſtilles Haͤuschen! Oh! meine alte treue Großmutter! Und Ottilie!“ ... Hier verſtummte er. Sein Haͤuschen ſah er im Geiſte vor ſich; die Großmutter ſah er, wie ſie leibte und lebte. Aber Ottiliens Bild vermochte er nicht mehr feſtzuhalten; ihre Zuͤge ſtanden ſeiner Einbildungs- kraft nicht mehr zu Gebote. Wenn er ſie zu haben glaubte, war es ploͤtzlich die ſchelmiſch-laͤchelnde Laura, die er dachte; doch auch dieſe hielt nicht Stich
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0097"n="95"/>
Tournuͤre jetzt noch nachſteht, iſt Jhnen an Feſtigkeit<lb/>
und Schule weit uͤberlegen. Jhm merkt man die<lb/>
Peitſche an, die er von Kindheit auf gefuͤhlt hat und<lb/>
ohne die es bei uns nun einmal nicht geht; glauben<lb/>
Sie mir, Antoine, ich ſpreche aus Erfahrung.</p><lb/><p>Die Aeußerungen ſeiner beſten Freundin, klangen<lb/>
ihm jetzt lebendig und beruhigend im Gedaͤchtniß<lb/>
nach. Sie trugen keinesweges bei, ſeine Einſamkeit<lb/>
zu erheitern.</p><lb/><p>„Soll ich mein Leben vergeuden, indem ich es<lb/>
anwende, dies oder jenes Violinſolo zu kratzen, waͤh-<lb/>
rend ich auf maͤßig-galopirendem Pferde den Cirkus<lb/>
durchreite? Bin ich zu nichts Beſſerem geboren?<lb/>
Waͤr’ es nicht kluͤger, ich ſaͤße in Liebenau und machte<lb/>
Koͤrbe? Waͤr’ es nicht nützlicher? Waͤr’ es nicht<lb/>
begluͤckender? Oh! mein kleines ſtilles Haͤuschen!<lb/>
Oh! meine alte treue Großmutter! Und Ottilie!“ ...<lb/>
Hier verſtummte er. Sein Haͤuschen ſah er im Geiſte<lb/>
vor ſich; die Großmutter ſah er, wie ſie leibte und<lb/>
lebte. Aber Ottiliens Bild vermochte er nicht mehr<lb/>
feſtzuhalten; ihre Zuͤge ſtanden ſeiner Einbildungs-<lb/>
kraft nicht mehr zu Gebote. Wenn er ſie zu haben<lb/>
glaubte, war es ploͤtzlich die ſchelmiſch-laͤchelnde<lb/>
Laura, die er dachte; doch auch dieſe hielt nicht Stich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[95/0097]
Tournuͤre jetzt noch nachſteht, iſt Jhnen an Feſtigkeit
und Schule weit uͤberlegen. Jhm merkt man die
Peitſche an, die er von Kindheit auf gefuͤhlt hat und
ohne die es bei uns nun einmal nicht geht; glauben
Sie mir, Antoine, ich ſpreche aus Erfahrung.
Die Aeußerungen ſeiner beſten Freundin, klangen
ihm jetzt lebendig und beruhigend im Gedaͤchtniß
nach. Sie trugen keinesweges bei, ſeine Einſamkeit
zu erheitern.
„Soll ich mein Leben vergeuden, indem ich es
anwende, dies oder jenes Violinſolo zu kratzen, waͤh-
rend ich auf maͤßig-galopirendem Pferde den Cirkus
durchreite? Bin ich zu nichts Beſſerem geboren?
Waͤr’ es nicht kluͤger, ich ſaͤße in Liebenau und machte
Koͤrbe? Waͤr’ es nicht nützlicher? Waͤr’ es nicht
begluͤckender? Oh! mein kleines ſtilles Haͤuschen!
Oh! meine alte treue Großmutter! Und Ottilie!“ ...
Hier verſtummte er. Sein Haͤuschen ſah er im Geiſte
vor ſich; die Großmutter ſah er, wie ſie leibte und
lebte. Aber Ottiliens Bild vermochte er nicht mehr
feſtzuhalten; ihre Zuͤge ſtanden ſeiner Einbildungs-
kraft nicht mehr zu Gebote. Wenn er ſie zu haben
glaubte, war es ploͤtzlich die ſchelmiſch-laͤchelnde
Laura, die er dachte; doch auch dieſe hielt nicht Stich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/97>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.