oder auf der Violine gar nicht mehr die Rede war. Die natürliche, unausbleibliche Folge des Müssig- ganges stellte sich auch bei ihm ein, der bisher ein mehr innerliches Dasein geführt und in seinem Bestreben nach geistiger Entwickelung Schutz gefun- den vor unzähligen Verirrungen, denen ein junger Mann sonst nirgend entgeht. Die Neigung dafür fand sich bereits. Noch fehlte nur schlechte Gesell- schaft, verführerischer Umgang und Anton stand am Rande des Sumpfes, worin gar manche edle Natur untergegangen. Für's Erste hielt ihn noch die Dürftigkeit seiner Lage zurück; die Sparsamkeit, wozu der kleine Geldvorrath, den er überraschend schnell sich erschöpfen sah, ihn verpflichtete; der gänz- liche Mangel an Aussichten für irgend einen künftigen Erwerb. Jeden Abend sagte er sich's, mit eindring- licher Mahnung, daß nothwendig etwas versucht, ergriffen werden müsse. Jeden Vormittag scheuchte ihn die Befürchtung zurück, daß an den ersten Schritt, welchen er für den Zweck der Selbsterhal- tung wagen wolle, gar zu leicht Nachfragen sich drängen könnten, die zur Enthüllung seiner bedenk- lichen Paß-Geschichte führten. Dann tröstete er sich mit dem leidigen: Mor en, morgen, nur nicht heute!
oder auf der Violine gar nicht mehr die Rede war. Die natuͤrliche, unausbleibliche Folge des Muͤſſig- ganges ſtellte ſich auch bei ihm ein, der bisher ein mehr innerliches Daſein gefuͤhrt und in ſeinem Beſtreben nach geiſtiger Entwickelung Schutz gefun- den vor unzaͤhligen Verirrungen, denen ein junger Mann ſonſt nirgend entgeht. Die Neigung dafuͤr fand ſich bereits. Noch fehlte nur ſchlechte Geſell- ſchaft, verfuͤhreriſcher Umgang und Anton ſtand am Rande des Sumpfes, worin gar manche edle Natur untergegangen. Fuͤr’s Erſte hielt ihn noch die Duͤrftigkeit ſeiner Lage zuruͤck; die Sparſamkeit, wozu der kleine Geldvorrath, den er uͤberraſchend ſchnell ſich erſchoͤpfen ſah, ihn verpflichtete; der gaͤnz- liche Mangel an Ausſichten fuͤr irgend einen kuͤnftigen Erwerb. Jeden Abend ſagte er ſich’s, mit eindring- licher Mahnung, daß nothwendig etwas verſucht, ergriffen werden muͤſſe. Jeden Vormittag ſcheuchte ihn die Befuͤrchtung zuruͤck, daß an den erſten Schritt, welchen er fuͤr den Zweck der Selbſterhal- tung wagen wolle, gar zu leicht Nachfragen ſich draͤngen koͤnnten, die zur Enthuͤllung ſeiner bedenk- lichen Paß-Geſchichte fuͤhrten. Dann troͤſtete er ſich mit dem leidigen: Mor en, morgen, nur nicht heute!
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oder auf der Violine gar nicht mehr die Rede war.
Die natuͤrliche, unausbleibliche Folge des Muͤſſig-
ganges ſtellte ſich auch bei ihm ein, der bisher ein
mehr innerliches Daſein gefuͤhrt und in ſeinem
Beſtreben nach geiſtiger Entwickelung Schutz gefun-
den vor unzaͤhligen Verirrungen, denen ein junger
Mann ſonſt nirgend entgeht. Die Neigung dafuͤr
fand ſich bereits. Noch fehlte nur ſchlechte Geſell-
ſchaft, verfuͤhreriſcher Umgang und Anton ſtand am
Rande des Sumpfes, worin gar manche edle Natur
untergegangen. Fuͤr’s Erſte hielt ihn noch die
Duͤrftigkeit ſeiner Lage zuruͤck; die Sparſamkeit,
wozu der kleine Geldvorrath, den er uͤberraſchend
ſchnell ſich erſchoͤpfen ſah, ihn verpflichtete; der gaͤnz-
liche Mangel an Ausſichten fuͤr irgend einen kuͤnftigen
Erwerb. Jeden Abend ſagte er ſich’s, mit eindring-
licher Mahnung, daß nothwendig etwas verſucht,
ergriffen werden muͤſſe. Jeden Vormittag ſcheuchte
ihn die Befuͤrchtung zuruͤck, daß an den erſten
Schritt, welchen er fuͤr den Zweck der Selbſterhal-
tung wagen wolle, gar zu leicht Nachfragen ſich
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/271>, abgerufen am 24.11.2024.
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