Das war denn immer die Losung zu abermaligem Nichtsthun und Verschleudern eines kostbaren Tages.
Bei seinen Spaziergängen war ihm unter Anderen ein alter Geiger aufgefallen, der täglich an der näm- lichen Stelle sitzend, auf einer besseren Geige als derlei Bettelmusikanten zu besitzen pflegen, von Früh bis in die Nacht ununterbrochen ein und dasselbe Stückchen aufspielte. Neben ihm stand ein Hut, für milde Gaben bereit, doch selten lagen mehrere kleine Münzen darin. Und doch war der Greis ehrwürdig anzuschauen. Anton verfehlte niemals ihn zu beschenken, wenn er an ihm vorüberging; sah aber jedesmal mit Bedauern, daß es fast der Einzige sei, der sich um den weißlockigen Unglücklichen beküm- merte. Desto mehr erstaunte er, als er eines schönen Tages, bei hellem Wetter, einen großen dicht gedrängten Kreis von Menschen aller Stände um seinen Schützling versammelt fand und schon von Weitem laute Zeichen beifälligen Antheils vernahm, die doch unmöglich dem unreinen Spiele des Bettlers gelten konnten. Er drängte sich auch hinzu und ver- nahm von dem Umstehenden, vor einigen Minuten sei ein eleganter Herr mit einer schöngekleideten Dame des Weges gekommen, habe erst mit dem Greise
Das war denn immer die Loſung zu abermaligem Nichtsthun und Verſchleudern eines koſtbaren Tages.
Bei ſeinen Spaziergaͤngen war ihm unter Anderen ein alter Geiger aufgefallen, der taͤglich an der naͤm- lichen Stelle ſitzend, auf einer beſſeren Geige als derlei Bettelmuſikanten zu beſitzen pflegen, von Fruͤh bis in die Nacht ununterbrochen ein und daſſelbe Stuͤckchen aufſpielte. Neben ihm ſtand ein Hut, fuͤr milde Gaben bereit, doch ſelten lagen mehrere kleine Muͤnzen darin. Und doch war der Greis ehrwuͤrdig anzuſchauen. Anton verfehlte niemals ihn zu beſchenken, wenn er an ihm voruͤberging; ſah aber jedesmal mit Bedauern, daß es faſt der Einzige ſei, der ſich um den weißlockigen Ungluͤcklichen bekuͤm- merte. Deſto mehr erſtaunte er, als er eines ſchoͤnen Tages, bei hellem Wetter, einen großen dicht gedraͤngten Kreis von Menſchen aller Staͤnde um ſeinen Schuͤtzling verſammelt fand und ſchon von Weitem laute Zeichen beifaͤlligen Antheils vernahm, die doch unmoͤglich dem unreinen Spiele des Bettlers gelten konnten. Er draͤngte ſich auch hinzu und ver- nahm von dem Umſtehenden, vor einigen Minuten ſei ein eleganter Herr mit einer ſchoͤngekleideten Dame des Weges gekommen, habe erſt mit dem Greiſe
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0272"n="270"/>
Das war denn immer die Loſung zu abermaligem<lb/>
Nichtsthun und Verſchleudern eines koſtbaren Tages.</p><lb/><p>Bei ſeinen Spaziergaͤngen war ihm unter Anderen<lb/>
ein alter Geiger aufgefallen, der taͤglich an der naͤm-<lb/>
lichen Stelle ſitzend, auf einer beſſeren Geige als<lb/>
derlei Bettelmuſikanten zu beſitzen pflegen, von Fruͤh<lb/>
bis in die Nacht ununterbrochen ein und daſſelbe<lb/>
Stuͤckchen aufſpielte. Neben ihm ſtand ein Hut, fuͤr<lb/>
milde Gaben bereit, doch ſelten lagen mehrere kleine<lb/>
Muͤnzen darin. Und doch war der Greis ehrwuͤrdig<lb/>
anzuſchauen. Anton verfehlte niemals ihn zu<lb/>
beſchenken, wenn er an ihm voruͤberging; ſah aber<lb/>
jedesmal mit Bedauern, daß es faſt der Einzige ſei,<lb/>
der ſich um den weißlockigen Ungluͤcklichen bekuͤm-<lb/>
merte. Deſto mehr erſtaunte er, als er eines ſchoͤnen<lb/>
Tages, bei hellem Wetter, einen großen dicht<lb/>
gedraͤngten Kreis von Menſchen aller Staͤnde um<lb/>ſeinen Schuͤtzling verſammelt fand und ſchon von<lb/>
Weitem laute Zeichen beifaͤlligen Antheils vernahm,<lb/>
die doch unmoͤglich dem unreinen Spiele des Bettlers<lb/>
gelten konnten. Er draͤngte ſich auch hinzu und ver-<lb/>
nahm von dem Umſtehenden, vor einigen Minuten<lb/>ſei ein eleganter Herr mit einer ſchoͤngekleideten Dame<lb/>
des Weges gekommen, habe erſt mit dem Greiſe<lb/></p></div></body></text></TEI>
[270/0272]
Das war denn immer die Loſung zu abermaligem
Nichtsthun und Verſchleudern eines koſtbaren Tages.
Bei ſeinen Spaziergaͤngen war ihm unter Anderen
ein alter Geiger aufgefallen, der taͤglich an der naͤm-
lichen Stelle ſitzend, auf einer beſſeren Geige als
derlei Bettelmuſikanten zu beſitzen pflegen, von Fruͤh
bis in die Nacht ununterbrochen ein und daſſelbe
Stuͤckchen aufſpielte. Neben ihm ſtand ein Hut, fuͤr
milde Gaben bereit, doch ſelten lagen mehrere kleine
Muͤnzen darin. Und doch war der Greis ehrwuͤrdig
anzuſchauen. Anton verfehlte niemals ihn zu
beſchenken, wenn er an ihm voruͤberging; ſah aber
jedesmal mit Bedauern, daß es faſt der Einzige ſei,
der ſich um den weißlockigen Ungluͤcklichen bekuͤm-
merte. Deſto mehr erſtaunte er, als er eines ſchoͤnen
Tages, bei hellem Wetter, einen großen dicht
gedraͤngten Kreis von Menſchen aller Staͤnde um
ſeinen Schuͤtzling verſammelt fand und ſchon von
Weitem laute Zeichen beifaͤlligen Antheils vernahm,
die doch unmoͤglich dem unreinen Spiele des Bettlers
gelten konnten. Er draͤngte ſich auch hinzu und ver-
nahm von dem Umſtehenden, vor einigen Minuten
ſei ein eleganter Herr mit einer ſchoͤngekleideten Dame
des Weges gekommen, habe erſt mit dem Greiſe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/272>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.