Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

irgend einen Endzweck seines Aufenthaltes gefunden
zu haben dachte, auf einmal in günstigerem Lichte;
machten ihm seine Existenz erträglicher. Jede Stunde
günstigen Wetters benützend, trieb er sich auf Pro-
menaden, in Gassen und Theatern umher; wurde
zum "Flaneur" im weitesten Sinne des Wortes,
ohne des Wortes Bedeutung und Anwendung zu
kennen. Die Boulevards von einem Ende ihrer
Ausdehnung bis zum anderen schienen ihm besonders
geeignet, für die Erreichung seiner Absicht. Der stäte
Wechsel den ihr bewegtes Treiben, ihr unermüdlicher
Verkehr darbietet unterhielt ihn zugleich und half
ihm viele Stunden langweilig-vergebenen Trachtens
und Harrens abkürzen. Deshalb verging ein Tag
um den andern, ohne daß ihm die Hoffnung ausging.
Was neben ihm her lärmte, tobte, scherzte, fluchte,
gaukelte, zog ihn, ohne daß er es selbst bemerkte, von
der eigentlichen Ursach seines Umhertreibens ab.
Während er einem Ziele zuzueilen wähnte, rückte
dieses ihm täglich ferner; im Verlaufe einiger Wochen
war es fast vergessen; Anton jedoch schon so sehr
daran gewöhnt, Straßenpflaster zu treten, daß sein
kleines Stübchen ihn nur bei Nacht empfing, und
daß von Beschäftigung bei Büchern, mit der Feder,

irgend einen Endzweck ſeines Aufenthaltes gefunden
zu haben dachte, auf einmal in guͤnſtigerem Lichte;
machten ihm ſeine Exiſtenz ertraͤglicher. Jede Stunde
guͤnſtigen Wetters benuͤtzend, trieb er ſich auf Pro-
menaden, in Gaſſen und Theatern umher; wurde
zum „Flaneur“ im weiteſten Sinne des Wortes,
ohne des Wortes Bedeutung und Anwendung zu
kennen. Die Boulevards von einem Ende ihrer
Ausdehnung bis zum anderen ſchienen ihm beſonders
geeignet, fuͤr die Erreichung ſeiner Abſicht. Der ſtaͤte
Wechſel den ihr bewegtes Treiben, ihr unermuͤdlicher
Verkehr darbietet unterhielt ihn zugleich und half
ihm viele Stunden langweilig-vergebenen Trachtens
und Harrens abkuͤrzen. Deshalb verging ein Tag
um den andern, ohne daß ihm die Hoffnung ausging.
Was neben ihm her laͤrmte, tobte, ſcherzte, fluchte,
gaukelte, zog ihn, ohne daß er es ſelbſt bemerkte, von
der eigentlichen Urſach ſeines Umhertreibens ab.
Waͤhrend er einem Ziele zuzueilen waͤhnte, ruͤckte
dieſes ihm taͤglich ferner; im Verlaufe einiger Wochen
war es faſt vergeſſen; Anton jedoch ſchon ſo ſehr
daran gewoͤhnt, Straßenpflaſter zu treten, daß ſein
kleines Stuͤbchen ihn nur bei Nacht empfing, und
daß von Beſchaͤftigung bei Buͤchern, mit der Feder,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0270" n="268"/>
irgend einen Endzweck &#x017F;eines Aufenthaltes gefunden<lb/>
zu haben dachte, auf einmal in gu&#x0364;n&#x017F;tigerem Lichte;<lb/>
machten ihm &#x017F;eine Exi&#x017F;tenz ertra&#x0364;glicher. Jede Stunde<lb/>
gu&#x0364;n&#x017F;tigen Wetters benu&#x0364;tzend, trieb er &#x017F;ich auf Pro-<lb/>
menaden, in Ga&#x017F;&#x017F;en und Theatern umher; wurde<lb/>
zum &#x201E;Flaneur&#x201C; im weite&#x017F;ten Sinne des Wortes,<lb/>
ohne des Wortes Bedeutung und Anwendung zu<lb/>
kennen. Die Boulevards von einem Ende ihrer<lb/>
Ausdehnung bis zum anderen &#x017F;chienen ihm be&#x017F;onders<lb/>
geeignet, fu&#x0364;r die Erreichung &#x017F;einer Ab&#x017F;icht. Der &#x017F;ta&#x0364;te<lb/>
Wech&#x017F;el den ihr bewegtes Treiben, ihr unermu&#x0364;dlicher<lb/>
Verkehr darbietet unterhielt ihn zugleich und half<lb/>
ihm viele Stunden langweilig-vergebenen Trachtens<lb/>
und Harrens abku&#x0364;rzen. Deshalb verging ein Tag<lb/>
um den andern, ohne daß ihm die Hoffnung ausging.<lb/>
Was neben ihm her la&#x0364;rmte, tobte, &#x017F;cherzte, fluchte,<lb/>
gaukelte, zog ihn, ohne daß er es &#x017F;elb&#x017F;t bemerkte, von<lb/>
der eigentlichen Ur&#x017F;ach &#x017F;eines Umhertreibens ab.<lb/>
Wa&#x0364;hrend er einem Ziele zuzueilen wa&#x0364;hnte, ru&#x0364;ckte<lb/>
die&#x017F;es ihm ta&#x0364;glich ferner; im Verlaufe einiger Wochen<lb/>
war es fa&#x017F;t verge&#x017F;&#x017F;en; Anton jedoch &#x017F;chon &#x017F;o &#x017F;ehr<lb/>
daran gewo&#x0364;hnt, Straßenpfla&#x017F;ter zu treten, daß &#x017F;ein<lb/>
kleines Stu&#x0364;bchen ihn nur bei Nacht empfing, und<lb/>
daß von Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung bei Bu&#x0364;chern, mit der Feder,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0270] irgend einen Endzweck ſeines Aufenthaltes gefunden zu haben dachte, auf einmal in guͤnſtigerem Lichte; machten ihm ſeine Exiſtenz ertraͤglicher. Jede Stunde guͤnſtigen Wetters benuͤtzend, trieb er ſich auf Pro- menaden, in Gaſſen und Theatern umher; wurde zum „Flaneur“ im weiteſten Sinne des Wortes, ohne des Wortes Bedeutung und Anwendung zu kennen. Die Boulevards von einem Ende ihrer Ausdehnung bis zum anderen ſchienen ihm beſonders geeignet, fuͤr die Erreichung ſeiner Abſicht. Der ſtaͤte Wechſel den ihr bewegtes Treiben, ihr unermuͤdlicher Verkehr darbietet unterhielt ihn zugleich und half ihm viele Stunden langweilig-vergebenen Trachtens und Harrens abkuͤrzen. Deshalb verging ein Tag um den andern, ohne daß ihm die Hoffnung ausging. Was neben ihm her laͤrmte, tobte, ſcherzte, fluchte, gaukelte, zog ihn, ohne daß er es ſelbſt bemerkte, von der eigentlichen Urſach ſeines Umhertreibens ab. Waͤhrend er einem Ziele zuzueilen waͤhnte, ruͤckte dieſes ihm taͤglich ferner; im Verlaufe einiger Wochen war es faſt vergeſſen; Anton jedoch ſchon ſo ſehr daran gewoͤhnt, Straßenpflaſter zu treten, daß ſein kleines Stuͤbchen ihn nur bei Nacht empfing, und daß von Beſchaͤftigung bei Buͤchern, mit der Feder,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/270
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/270>, abgerufen am 04.07.2024.