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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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offenen, schwellenden Blume entfaltet, und saugte
mit banger Wollust den Hauch der Leidenschaft. Ja
sogar Antoinettens traurige Geschichte, wie die Alte
sie ihm rein und schmucklos vorgetragen, wirkte nun,
wenn er sie in seiner Fantasie sich wiederholte, mit
dazu, ihm Ottilien, die er bisher immer nur als
Schloßfräulein gedacht und gesehen, als weibliches
Wesen näher zu rücken. Der Gegensatz besonders war
seiner Ruhe so gefährlich: dort dachte er sich die eigene
Mutter, Tochter beschränkter armer Kantorsleute, ein
Opfer des reichen, hochgeborenen Junkers werden;
hier stand die Tochter des gefürchteten Gutsherrn,
noch in Erinnerung an jene Zeit, vor Aufhebung der
Erbunterthänigkeit eine große Macht! ihm, dem
Korbflechterjungen gegenüber. Er hielt sich für einen
Leibeigenen des Onkel Nasus. Das seine Großmut-
ter freiwillig Liebenau zu ihrem Aufenthalt erwählt,
als sie sich aus früheren, kleinstädtischen Umgebun-
gen flüchten wollte; daß sie ihn, ein schon vorhande-
nes Kind und Anhängsel mitgebracht; daß er folglich
kein Unterthan dieser Herrschaft sei, das wußte, oder
vielmehr bedachte Anton nicht. Er sah in Ottilien
immer noch die Tochter des "Dominiums." Und um
wie viel höher stand diese über ihm, als jemals sein

offenen, ſchwellenden Blume entfaltet, und ſaugte
mit banger Wolluſt den Hauch der Leidenſchaft. Ja
ſogar Antoinettens traurige Geſchichte, wie die Alte
ſie ihm rein und ſchmucklos vorgetragen, wirkte nun,
wenn er ſie in ſeiner Fantaſie ſich wiederholte, mit
dazu, ihm Ottilien, die er bisher immer nur als
Schloßfraͤulein gedacht und geſehen, als weibliches
Weſen naͤher zu ruͤcken. Der Gegenſatz beſonders war
ſeiner Ruhe ſo gefaͤhrlich: dort dachte er ſich die eigene
Mutter, Tochter beſchraͤnkter armer Kantorsleute, ein
Opfer des reichen, hochgeborenen Junkers werden;
hier ſtand die Tochter des gefuͤrchteten Gutsherrn,
noch in Erinnerung an jene Zeit, vor Aufhebung der
Erbunterthaͤnigkeit eine große Macht! ihm, dem
Korbflechterjungen gegenuͤber. Er hielt ſich fuͤr einen
Leibeigenen des Onkel Naſus. Das ſeine Großmut-
ter freiwillig Liebenau zu ihrem Aufenthalt erwaͤhlt,
als ſie ſich aus fruͤheren, kleinſtaͤdtiſchen Umgebun-
gen fluͤchten wollte; daß ſie ihn, ein ſchon vorhande-
nes Kind und Anhaͤngſel mitgebracht; daß er folglich
kein Unterthan dieſer Herrſchaft ſei, das wußte, oder
vielmehr bedachte Anton nicht. Er ſah in Ottilien
immer noch die Tochter des „Dominiums.“ Und um
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[73/0089] offenen, ſchwellenden Blume entfaltet, und ſaugte mit banger Wolluſt den Hauch der Leidenſchaft. Ja ſogar Antoinettens traurige Geſchichte, wie die Alte ſie ihm rein und ſchmucklos vorgetragen, wirkte nun, wenn er ſie in ſeiner Fantaſie ſich wiederholte, mit dazu, ihm Ottilien, die er bisher immer nur als Schloßfraͤulein gedacht und geſehen, als weibliches Weſen naͤher zu ruͤcken. Der Gegenſatz beſonders war ſeiner Ruhe ſo gefaͤhrlich: dort dachte er ſich die eigene Mutter, Tochter beſchraͤnkter armer Kantorsleute, ein Opfer des reichen, hochgeborenen Junkers werden; hier ſtand die Tochter des gefuͤrchteten Gutsherrn, noch in Erinnerung an jene Zeit, vor Aufhebung der Erbunterthaͤnigkeit eine große Macht! ihm, dem Korbflechterjungen gegenuͤber. Er hielt ſich fuͤr einen Leibeigenen des Onkel Naſus. Das ſeine Großmut- ter freiwillig Liebenau zu ihrem Aufenthalt erwaͤhlt, als ſie ſich aus fruͤheren, kleinſtaͤdtiſchen Umgebun- gen fluͤchten wollte; daß ſie ihn, ein ſchon vorhande- nes Kind und Anhaͤngſel mitgebracht; daß er folglich kein Unterthan dieſer Herrſchaft ſei, das wußte, oder vielmehr bedachte Anton nicht. Er ſah in Ottilien immer noch die Tochter des „Dominiums.“ Und um wie viel hoͤher ſtand dieſe uͤber ihm, als jemals ſein

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/89>, abgerufen am 22.11.2024.