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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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Vater, der Kornet, oder Lieutenant über des Kantors
Nette gestanden haben könnte? Und diese Ottilie
hatte ihm -- ihm -- -- nein, es war zu viel!!

Denn was bedeutet es, wenn ein Mädel ihre
Fingerspitzen küßt und den Kuß einem jungen Bur-
schen durch die Luft nachsendet? Doch nur: weil ich
für den Augenblick Dich nicht erreichen kann, küß' ich
meine Finger, aber wenn Du mir näher stehst,
werd' ich Deine Lippen küssen.

Und der Gedanke, daß dieses nicht vollbracht wer-
den könne, durchaus nicht, ohne daß er zugleich die
ihrigen küsse!

Nein, wie gesagt, es war zu viel! Viel zu viel!

Was soll das heißen, fragte Mutter Goksch von
ihrer Näherei nach Antons kleiner Werkstatt hinüber,
daß Du heute gar so heftig singst bei Deiner Arbeit?
Da sind ja die Finken in unserem Gärtchen faule
Schelme gegen Dich.

"Nu Großmutterle," erwiederte Anton, nachdem
er erst seine Strofe beendet, "mir ist halt meine Brust
so voll, ich weiß nicht wie? Da muß es heraus? Und
Du hörst mich ja gern singen? Du lobst ja meine
Stimme, seitdem sie übergeschnappt, oder vielmehr
hinuntergeschnappt hat in's Mannbare. Du sagst ja

Vater, der Kornet, oder Lieutenant uͤber des Kantors
Nette geſtanden haben koͤnnte? Und dieſe Ottilie
hatte ihm — ihm — — nein, es war zu viel!!

Denn was bedeutet es, wenn ein Maͤdel ihre
Fingerſpitzen kuͤßt und den Kuß einem jungen Bur-
ſchen durch die Luft nachſendet? Doch nur: weil ich
fuͤr den Augenblick Dich nicht erreichen kann, kuͤß’ ich
meine Finger, aber wenn Du mir naͤher ſtehſt,
werd’ ich Deine Lippen kuͤſſen.

Und der Gedanke, daß dieſes nicht vollbracht wer-
den koͤnne, durchaus nicht, ohne daß er zugleich die
ihrigen kuͤſſe!

Nein, wie geſagt, es war zu viel! Viel zu viel!

Was ſoll das heißen, fragte Mutter Gokſch von
ihrer Naͤherei nach Antons kleiner Werkſtatt hinuͤber,
daß Du heute gar ſo heftig ſingſt bei Deiner Arbeit?
Da ſind ja die Finken in unſerem Gaͤrtchen faule
Schelme gegen Dich.

„Nu Großmutterle,“ erwiederte Anton, nachdem
er erſt ſeine Strofe beendet, „mir iſt halt meine Bruſt
ſo voll, ich weiß nicht wie? Da muß es heraus? Und
Du hoͤrſt mich ja gern ſingen? Du lobſt ja meine
Stimme, ſeitdem ſie uͤbergeſchnappt, oder vielmehr
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[74/0090] Vater, der Kornet, oder Lieutenant uͤber des Kantors Nette geſtanden haben koͤnnte? Und dieſe Ottilie hatte ihm — ihm — — nein, es war zu viel!! Denn was bedeutet es, wenn ein Maͤdel ihre Fingerſpitzen kuͤßt und den Kuß einem jungen Bur- ſchen durch die Luft nachſendet? Doch nur: weil ich fuͤr den Augenblick Dich nicht erreichen kann, kuͤß’ ich meine Finger, aber wenn Du mir naͤher ſtehſt, werd’ ich Deine Lippen kuͤſſen. Und der Gedanke, daß dieſes nicht vollbracht wer- den koͤnne, durchaus nicht, ohne daß er zugleich die ihrigen kuͤſſe! Nein, wie geſagt, es war zu viel! Viel zu viel! Was ſoll das heißen, fragte Mutter Gokſch von ihrer Naͤherei nach Antons kleiner Werkſtatt hinuͤber, daß Du heute gar ſo heftig ſingſt bei Deiner Arbeit? Da ſind ja die Finken in unſerem Gaͤrtchen faule Schelme gegen Dich. „Nu Großmutterle,“ erwiederte Anton, nachdem er erſt ſeine Strofe beendet, „mir iſt halt meine Bruſt ſo voll, ich weiß nicht wie? Da muß es heraus? Und Du hoͤrſt mich ja gern ſingen? Du lobſt ja meine Stimme, ſeitdem ſie uͤbergeſchnappt, oder vielmehr hinuntergeſchnappt hat in’s Mannbare. Du ſagſt ja

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/90>, abgerufen am 22.11.2024.