schon zärtliche Gedanken mit einzuflechten pflegte. Aber was waren jene Gedanken von sonst gegen diese von jetzt? Die Liebe, von der er damals prophetisch gesungen, war eine sanft-schüchterne, im Entstehen entsagende, und an eine solche kann ich überhaupt, -- mag die gütige Leserin mich noch so ungütig als Lästerer verdammen! -- auf die Dauer nicht glau- ben. Am allerwenigsten bei so schlichtem, natürlichem, ungeziertem Dorfjungen. Sie war ihm nicht tief in's Leben gedrungen. Sie war eben nur vorhanden, wie sie eigentlich immer vorhanden ist: sie schwamm in der Luft um ihn her, sei es nun als Blumendüftchen, sei es als feindseliges, ansteckendes Miasma, -- je nachdem. Sie streifte Antons Herz; er ahnete sie; aber das Herz war zu frisch, zu jugendstark, zu rein, -- sie fand keinen Eingang durch dies gesunde Herz, um den ganzen Menschen einzunehmen. So war das bisher gegangen. Jetzt aber hatten schmerzhafte Er- fahrungen, leidenschaftliche Zustände ihn bewegt, erregt, erschüttert und durchwühlt. Zwischen der Kunde vom Untergang seiner Mutter bis zum Kuß- händchen Ottiliens lagen schon zwei lange Nächte und ein heftiger Tag. Das Herz Antons, vorgestern noch eine festgeschlossene, volle Knospe, hatte sich zur
ſchon zaͤrtliche Gedanken mit einzuflechten pflegte. Aber was waren jene Gedanken von ſonſt gegen dieſe von jetzt? Die Liebe, von der er damals prophetiſch geſungen, war eine ſanft-ſchuͤchterne, im Entſtehen entſagende, und an eine ſolche kann ich uͤberhaupt, — mag die guͤtige Leſerin mich noch ſo unguͤtig als Laͤſterer verdammen! — auf die Dauer nicht glau- ben. Am allerwenigſten bei ſo ſchlichtem, natuͤrlichem, ungeziertem Dorfjungen. Sie war ihm nicht tief in’s Leben gedrungen. Sie war eben nur vorhanden, wie ſie eigentlich immer vorhanden iſt: ſie ſchwamm in der Luft um ihn her, ſei es nun als Blumenduͤftchen, ſei es als feindſeliges, anſteckendes Miasma, — je nachdem. Sie ſtreifte Antons Herz; er ahnete ſie; aber das Herz war zu friſch, zu jugendſtark, zu rein, — ſie fand keinen Eingang durch dies geſunde Herz, um den ganzen Menſchen einzunehmen. So war das bisher gegangen. Jetzt aber hatten ſchmerzhafte Er- fahrungen, leidenſchaftliche Zuſtaͤnde ihn bewegt, erregt, erſchuͤttert und durchwuͤhlt. Zwiſchen der Kunde vom Untergang ſeiner Mutter bis zum Kuß- haͤndchen Ottiliens lagen ſchon zwei lange Naͤchte und ein heftiger Tag. Das Herz Antons, vorgeſtern noch eine feſtgeſchloſſene, volle Knospe, hatte ſich zur
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ſchon zaͤrtliche Gedanken mit einzuflechten pflegte.
Aber was waren jene Gedanken von ſonſt gegen dieſe
von jetzt? Die Liebe, von der er damals prophetiſch
geſungen, war eine ſanft-ſchuͤchterne, im Entſtehen
entſagende, und an eine ſolche kann ich uͤberhaupt,
— mag die guͤtige Leſerin mich noch ſo unguͤtig als
Laͤſterer verdammen! — auf die Dauer nicht glau-
ben. Am allerwenigſten bei ſo ſchlichtem, natuͤrlichem,
ungeziertem Dorfjungen. Sie war ihm nicht tief in’s
Leben gedrungen. Sie war eben nur vorhanden, wie
ſie eigentlich immer vorhanden iſt: ſie ſchwamm in
der Luft um ihn her, ſei es nun als Blumenduͤftchen,
ſei es als feindſeliges, anſteckendes Miasma, — je
nachdem. Sie ſtreifte Antons Herz; er ahnete ſie;
aber das Herz war zu friſch, zu jugendſtark, zu rein,
— ſie fand keinen Eingang durch dies geſunde Herz,
um den ganzen Menſchen einzunehmen. So war das
bisher gegangen. Jetzt aber hatten ſchmerzhafte Er-
fahrungen, leidenſchaftliche Zuſtaͤnde ihn bewegt,
erregt, erſchuͤttert und durchwuͤhlt. Zwiſchen der
Kunde vom Untergang ſeiner Mutter bis zum Kuß-
haͤndchen Ottiliens lagen ſchon zwei lange Naͤchte
und ein heftiger Tag. Das Herz Antons, vorgeſtern
noch eine feſtgeſchloſſene, volle Knospe, hatte ſich zur
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/88>, abgerufen am 22.11.2024.
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