Weiß ich's? Sie nannten ihn Musikdirektor und er ist, glaub' ich, verwandt mit dem Pastor. Mir ist auch, als hätt' ich schon von ihm reden hören, wie die Pastorin noch lebte, gleichwie von einem verlore- nen Sohne. Nun mag er sich wohl wiedergefunden haben! Aber vom Schweinehüten kommt der nicht. Er sah sehr prächtig aus.
"Vor ihm soll ich geigen?" wiederholte Anton nachdenklich einigemale. "Sie wollen wahrscheinlich über mich spotten und das ist wieder ein Einfall von Fräulein Ottilie. Aber gleichviel: ich geh' doch!"
Damit nahm er seine Geige und ging auf's Schloß.
Sie saßen in der Laube vor der Thür. Onkel Nasus, der Pastor und der fremde Herr, an einem grünen Gartentische, auf dem verschiedene, halbge- leerte Weinflaschen standen. Die Mädchen, Miez und Linz, mit den "Studenten" gingen ab und zu. Letz- tere suchten gelegentlich und wenn es unbemerkt geschehen konnte, ihre stets leeren Gläser wieder zu füllen.
Ottilie stand in der halboffenen großen Hausthür, an den geschlossenen Thorflügel gelehnt und den Abendflug der Schwalben betrachtend, als ob die Uebrigen sie nichts weiter angingen.
Weiß ich’s? Sie nannten ihn Muſikdirektor und er iſt, glaub’ ich, verwandt mit dem Paſtor. Mir iſt auch, als haͤtt’ ich ſchon von ihm reden hoͤren, wie die Paſtorin noch lebte, gleichwie von einem verlore- nen Sohne. Nun mag er ſich wohl wiedergefunden haben! Aber vom Schweinehuͤten kommt der nicht. Er ſah ſehr praͤchtig aus.
„Vor ihm ſoll ich geigen?“ wiederholte Anton nachdenklich einigemale. „Sie wollen wahrſcheinlich uͤber mich ſpotten und das iſt wieder ein Einfall von Fraͤulein Ottilie. Aber gleichviel: ich geh’ doch!“
Damit nahm er ſeine Geige und ging auf’s Schloß.
Sie ſaßen in der Laube vor der Thuͤr. Onkel Naſus, der Paſtor und der fremde Herr, an einem gruͤnen Gartentiſche, auf dem verſchiedene, halbge- leerte Weinflaſchen ſtanden. Die Maͤdchen, Miez und Linz, mit den „Studenten“ gingen ab und zu. Letz- tere ſuchten gelegentlich und wenn es unbemerkt geſchehen konnte, ihre ſtets leeren Glaͤſer wieder zu fuͤllen.
Ottilie ſtand in der halboffenen großen Hausthuͤr, an den geſchloſſenen Thorfluͤgel gelehnt und den Abendflug der Schwalben betrachtend, als ob die Uebrigen ſie nichts weiter angingen.
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Weiß ich’s? Sie nannten ihn Muſikdirektor und
er iſt, glaub’ ich, verwandt mit dem Paſtor. Mir iſt
auch, als haͤtt’ ich ſchon von ihm reden hoͤren, wie
die Paſtorin noch lebte, gleichwie von einem verlore-
nen Sohne. Nun mag er ſich wohl wiedergefunden
haben! Aber vom Schweinehuͤten kommt der nicht.
Er ſah ſehr praͤchtig aus.
„Vor ihm ſoll ich geigen?“ wiederholte Anton
nachdenklich einigemale. „Sie wollen wahrſcheinlich
uͤber mich ſpotten und das iſt wieder ein Einfall von
Fraͤulein Ottilie. Aber gleichviel: ich geh’ doch!“
Damit nahm er ſeine Geige und ging auf’s Schloß.
Sie ſaßen in der Laube vor der Thuͤr. Onkel
Naſus, der Paſtor und der fremde Herr, an einem
gruͤnen Gartentiſche, auf dem verſchiedene, halbge-
leerte Weinflaſchen ſtanden. Die Maͤdchen, Miez und
Linz, mit den „Studenten“ gingen ab und zu. Letz-
tere ſuchten gelegentlich und wenn es unbemerkt
geſchehen konnte, ihre ſtets leeren Glaͤſer wieder zu
fuͤllen.
Ottilie ſtand in der halboffenen großen Hausthuͤr,
an den geſchloſſenen Thorfluͤgel gelehnt und den
Abendflug der Schwalben betrachtend, als ob die
Uebrigen ſie nichts weiter angingen.
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/76>, abgerufen am 22.11.2024.
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