Gefahr ihrer Gliedmaßen dies oder Jenes noch her- vorzuholen sich bemühen.
Und am Strande, wie eine vertriebene Herr- scherin, Madame Simonelli, Gericht zu halten über eine schuldige Tochter, -- über einen unschuldig-schul- digen Verräther!
Laura war doch die Erste, die redete.
Das muß ein Ende nehmen, sagte sie; wir müs- sen klar sehen, Mutter.
"Was das betrifft, meine Liebe, hab' ich schon so klar gesehen, daß ich beinahe wünschen könnte, ich wäre blind. Schämst Du Dich nicht vor unsern Leuten?"
Und warum sollte ich, um Anderer Willen verleug- nen, was ich mir selbst eingestehen darf? Jst mein eige- nes Urtheil über mich, meine eigene Meinung von mir, nicht wichtiger für mich, als Meinungen und Urtheile Fremder? Jch bin frei, unabhängig, hab' keine Pflich- ten, außer gegen Sie, meine Mutter, und gegen mich selbst. Die Pflicht gegen Sie hab' ich erfüllt: ich habe, Jhrem Wunsche gemäß, wie ein Aushängeschild an Jhrer Kasse gestanden, seitdem ich von Herrn Amelot getrennt lebe. Sie wissen am Besten, welche Abge- schmacktheiten, welche fade Redensarten ich hinneh-
Gefahr ihrer Gliedmaßen dies oder Jenes noch her- vorzuholen ſich bemuͤhen.
Und am Strande, wie eine vertriebene Herr- ſcherin, Madame Simonelli, Gericht zu halten uͤber eine ſchuldige Tochter, — uͤber einen unſchuldig-ſchul- digen Verraͤther!
Laura war doch die Erſte, die redete.
Das muß ein Ende nehmen, ſagte ſie; wir muͤſ- ſen klar ſehen, Mutter.
„Was das betrifft, meine Liebe, hab’ ich ſchon ſo klar geſehen, daß ich beinahe wuͤnſchen koͤnnte, ich waͤre blind. Schaͤmſt Du Dich nicht vor unſern Leuten?“
Und warum ſollte ich, um Anderer Willen verleug- nen, was ich mir ſelbſt eingeſtehen darf? Jſt mein eige- nes Urtheil uͤber mich, meine eigene Meinung von mir, nicht wichtiger fuͤr mich, als Meinungen und Urtheile Fremder? Jch bin frei, unabhaͤngig, hab’ keine Pflich- ten, außer gegen Sie, meine Mutter, und gegen mich ſelbſt. Die Pflicht gegen Sie hab’ ich erfuͤllt: ich habe, Jhrem Wunſche gemaͤß, wie ein Aushaͤngeſchild an Jhrer Kaſſe geſtanden, ſeitdem ich von Herrn Amelot getrennt lebe. Sie wiſſen am Beſten, welche Abge- ſchmacktheiten, welche fade Redensarten ich hinneh-
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Gefahr ihrer Gliedmaßen dies oder Jenes noch her-
vorzuholen ſich bemuͤhen.
Und am Strande, wie eine vertriebene Herr-
ſcherin, Madame Simonelli, Gericht zu halten uͤber
eine ſchuldige Tochter, — uͤber einen unſchuldig-ſchul-
digen Verraͤther!
Laura war doch die Erſte, die redete.
Das muß ein Ende nehmen, ſagte ſie; wir muͤſ-
ſen klar ſehen, Mutter.
„Was das betrifft, meine Liebe, hab’ ich ſchon ſo
klar geſehen, daß ich beinahe wuͤnſchen koͤnnte, ich
waͤre blind. Schaͤmſt Du Dich nicht vor unſern
Leuten?“
Und warum ſollte ich, um Anderer Willen verleug-
nen, was ich mir ſelbſt eingeſtehen darf? Jſt mein eige-
nes Urtheil uͤber mich, meine eigene Meinung von mir,
nicht wichtiger fuͤr mich, als Meinungen und Urtheile
Fremder? Jch bin frei, unabhaͤngig, hab’ keine Pflich-
ten, außer gegen Sie, meine Mutter, und gegen mich
ſelbſt. Die Pflicht gegen Sie hab’ ich erfuͤllt: ich habe,
Jhrem Wunſche gemaͤß, wie ein Aushaͤngeſchild an
Jhrer Kaſſe geſtanden, ſeitdem ich von Herrn Amelot
getrennt lebe. Sie wiſſen am Beſten, welche Abge-
ſchmacktheiten, welche fade Redensarten ich hinneh-
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/344>, abgerufen am 24.11.2024.
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