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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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dürfen. Weil Anton mit seinen Genossen theilte,
ohne nachzuzählen und zu rechnen, und weil diese bei
den reichlichen Spenden, die ihm und seiner Persön-
lichkeit galten, zwiefach ihre Rechnung fanden, so
blieben sie voll Ergebenheit für ihn, gönnten ihm jede
Auszeichnung, welche Madame Simonelli ihm sonst
zu Theil werden ließ und priesen ihn um so höher,
als er stets bereit war, daheim zu bleiben, die Aufsicht
zu führen, wenn nach beendigter Schaustellung die
Bude geschlossen ward und sie eine Schenke besuchen
wollten.

Diese Stunden der Einsamkeit, wo ihm jegliches
menschliche Wesen fern und er allein unter reißenden
Bestien weilte, wurden ihm bald unendlich theuer
und werth.

Zwei tüchtige eiserne Oefen strömten genügende
Wärme aus; die Vögel schliefen; die Raubthiere
gingen mit leisen, kaum hörbaren Tritten in ihren
Kerkern auf und ab, oder sie ruheten, von der kürzlich
erfolgten Fütterung satt und schlaftrunken, auf ihrer
Nachtstreu. Das waren die Stunden, wo der im
neuen fremden Leben umher irrende, nach Außen
gezogene Mensch, in sich selbst zurückging, das heißt:
in seine Vergangenheit. Er hatte sich eine Geige

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duͤrfen. Weil Anton mit ſeinen Genoſſen theilte,
ohne nachzuzaͤhlen und zu rechnen, und weil dieſe bei
den reichlichen Spenden, die ihm und ſeiner Perſoͤn-
lichkeit galten, zwiefach ihre Rechnung fanden, ſo
blieben ſie voll Ergebenheit fuͤr ihn, goͤnnten ihm jede
Auszeichnung, welche Madame Simonelli ihm ſonſt
zu Theil werden ließ und prieſen ihn um ſo hoͤher,
als er ſtets bereit war, daheim zu bleiben, die Aufſicht
zu fuͤhren, wenn nach beendigter Schauſtellung die
Bude geſchloſſen ward und ſie eine Schenke beſuchen
wollten.

Dieſe Stunden der Einſamkeit, wo ihm jegliches
menſchliche Weſen fern und er allein unter reißenden
Beſtien weilte, wurden ihm bald unendlich theuer
und werth.

Zwei tuͤchtige eiſerne Oefen ſtroͤmten genuͤgende
Waͤrme aus; die Voͤgel ſchliefen; die Raubthiere
gingen mit leiſen, kaum hoͤrbaren Tritten in ihren
Kerkern auf und ab, oder ſie ruheten, von der kuͤrzlich
erfolgten Fuͤtterung ſatt und ſchlaftrunken, auf ihrer
Nachtſtreu. Das waren die Stunden, wo der im
neuen fremden Leben umher irrende, nach Außen
gezogene Menſch, in ſich ſelbſt zuruͤckging, das heißt:
in ſeine Vergangenheit. Er hatte ſich eine Geige

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[259/0275] duͤrfen. Weil Anton mit ſeinen Genoſſen theilte, ohne nachzuzaͤhlen und zu rechnen, und weil dieſe bei den reichlichen Spenden, die ihm und ſeiner Perſoͤn- lichkeit galten, zwiefach ihre Rechnung fanden, ſo blieben ſie voll Ergebenheit fuͤr ihn, goͤnnten ihm jede Auszeichnung, welche Madame Simonelli ihm ſonſt zu Theil werden ließ und prieſen ihn um ſo hoͤher, als er ſtets bereit war, daheim zu bleiben, die Aufſicht zu fuͤhren, wenn nach beendigter Schauſtellung die Bude geſchloſſen ward und ſie eine Schenke beſuchen wollten. Dieſe Stunden der Einſamkeit, wo ihm jegliches menſchliche Weſen fern und er allein unter reißenden Beſtien weilte, wurden ihm bald unendlich theuer und werth. Zwei tuͤchtige eiſerne Oefen ſtroͤmten genuͤgende Waͤrme aus; die Voͤgel ſchliefen; die Raubthiere gingen mit leiſen, kaum hoͤrbaren Tritten in ihren Kerkern auf und ab, oder ſie ruheten, von der kuͤrzlich erfolgten Fuͤtterung ſatt und ſchlaftrunken, auf ihrer Nachtſtreu. Das waren die Stunden, wo der im neuen fremden Leben umher irrende, nach Außen gezogene Menſch, in ſich ſelbſt zuruͤckging, das heißt: in ſeine Vergangenheit. Er hatte ſich eine Geige 17*

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/275>, abgerufen am 17.05.2024.