Von der Stunde an, wo Anton wußte, daß er nicht mehr Herr sei im Hause der Großmutter; daß es nicht unbedingt ihm gehöre, daß dem Kurator die Berechtigung zustehe, ihn unter dem ersten nächsten Vorwande hinauszuweisen; fand er sich auch nicht mehr heimisch darin. Es litt ihn nicht. Die Arbeit ekelte ihn an. Er mochte nicht mehr im Zimmer weilen. Bei schlechtem wie gutem Wetter, -- gleichviel! -- trieb er sich im Walde herum; am liebsten dort, wo außer ihm keine Menschen weiter zu wandeln pflegten. Streichende Herbstvögel begegneten ihm heerdenweise, wie sie von einem Ort zum andern zogen. Jhr Bei- spiel regte in ihm die öfters schon geahnete Wander- lust auf. Manchmal trieben ihn kalte Nebel, wie Regen herabsinkend, Bäume und Sträuche vollends entblätternd, frostig heim. Kaum aber zeigte sich wieder die Sonne, ob auch matt und bleich, war er auch wieder da draußen; rührte sich auch wieder ein ungewisser Drang in ihm, sein Heil in weiter Welt zu versuchen.
Am ersten November, bei schönem Wetter und so reiner, milder Luft, als ob es auf den Frühling zu- ginge, lockte ihn der unbesiegbare Trieb, aus dunklem Föhrenwalde, der ihm so wenig Sonne und Licht
Von der Stunde an, wo Anton wußte, daß er nicht mehr Herr ſei im Hauſe der Großmutter; daß es nicht unbedingt ihm gehoͤre, daß dem Kurator die Berechtigung zuſtehe, ihn unter dem erſten naͤchſten Vorwande hinauszuweiſen; fand er ſich auch nicht mehr heimiſch darin. Es litt ihn nicht. Die Arbeit ekelte ihn an. Er mochte nicht mehr im Zimmer weilen. Bei ſchlechtem wie gutem Wetter, — gleichviel! — trieb er ſich im Walde herum; am liebſten dort, wo außer ihm keine Menſchen weiter zu wandeln pflegten. Streichende Herbſtvoͤgel begegneten ihm heerdenweiſe, wie ſie von einem Ort zum andern zogen. Jhr Bei- ſpiel regte in ihm die oͤfters ſchon geahnete Wander- luſt auf. Manchmal trieben ihn kalte Nebel, wie Regen herabſinkend, Baͤume und Straͤuche vollends entblaͤtternd, froſtig heim. Kaum aber zeigte ſich wieder die Sonne, ob auch matt und bleich, war er auch wieder da draußen; ruͤhrte ſich auch wieder ein ungewiſſer Drang in ihm, ſein Heil in weiter Welt zu verſuchen.
Am erſten November, bei ſchoͤnem Wetter und ſo reiner, milder Luft, als ob es auf den Fruͤhling zu- ginge, lockte ihn der unbeſiegbare Trieb, aus dunklem Foͤhrenwalde, der ihm ſo wenig Sonne und Licht
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Von der Stunde an, wo Anton wußte, daß er
nicht mehr Herr ſei im Hauſe der Großmutter; daß
es nicht unbedingt ihm gehoͤre, daß dem Kurator die
Berechtigung zuſtehe, ihn unter dem erſten naͤchſten
Vorwande hinauszuweiſen; fand er ſich auch nicht
mehr heimiſch darin. Es litt ihn nicht. Die Arbeit ekelte
ihn an. Er mochte nicht mehr im Zimmer weilen.
Bei ſchlechtem wie gutem Wetter, — gleichviel! —
trieb er ſich im Walde herum; am liebſten dort, wo
außer ihm keine Menſchen weiter zu wandeln pflegten.
Streichende Herbſtvoͤgel begegneten ihm heerdenweiſe,
wie ſie von einem Ort zum andern zogen. Jhr Bei-
ſpiel regte in ihm die oͤfters ſchon geahnete Wander-
luſt auf. Manchmal trieben ihn kalte Nebel, wie
Regen herabſinkend, Baͤume und Straͤuche vollends
entblaͤtternd, froſtig heim. Kaum aber zeigte ſich
wieder die Sonne, ob auch matt und bleich, war er
auch wieder da draußen; ruͤhrte ſich auch wieder ein
ungewiſſer Drang in ihm, ſein Heil in weiter Welt
zu verſuchen.
Am erſten November, bei ſchoͤnem Wetter und ſo
reiner, milder Luft, als ob es auf den Fruͤhling zu-
ginge, lockte ihn der unbeſiegbare Trieb, aus dunklem
Foͤhrenwalde, der ihm ſo wenig Sonne und Licht
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/232>, abgerufen am 24.11.2024.
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