Deutung geben und Auswege finden, sie zu umgehen! Man vernimmt häufig im Volke jenes albern-klingende Wort: wenn der Verstorbene das wüßte, im Grabe würd' er sich umkehren! Und so albern es klingt, es ist uns Allen gewiß auch schon wider unsern eigenen Willen auf die Zunge gekommen, wenn wir mit an- sehen mußten, wie herzlose Erben, oder auch der "große Zeitgeist" unter ihre Füße traten, was edle Stifter auf immer zu gründen bemüht gewesen.
Bei unserem Anton war das nun freilich ein an- derer Fall. Er würde aus freiem eigenen Willen nichts unternommen haben, was er mit seiner Anhäng- lichkeit für die Verstorbene nicht vereinbar gefunden. Man zwang ihn dazu.
Einige Wochen waren ihm unter Arbeit und trü- bem Sinnen verstrichen; der wilde Schmerz fing an sich in wehmüthiger Trauer zu besänftigen; mitunter zuckte auch schon wieder ein Blitz jugendlich-feuriger Lebenslust ihm durch die Adern, -- doch er gedachte an die Warnungen seiner Sterbenden und ergab sich entsagender Geduld.
Vom Schlosse vernahm er nur durch Andere. Der Bankerott war erklärt. Die natürlichen Erbinnen des Baron's wagten nicht, ihre Rechte in Anspruch
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Deutung geben und Auswege finden, ſie zu umgehen! Man vernimmt haͤufig im Volke jenes albern-klingende Wort: wenn der Verſtorbene das wuͤßte, im Grabe wuͤrd’ er ſich umkehren! Und ſo albern es klingt, es iſt uns Allen gewiß auch ſchon wider unſern eigenen Willen auf die Zunge gekommen, wenn wir mit an- ſehen mußten, wie herzloſe Erben, oder auch der „große Zeitgeiſt“ unter ihre Fuͤße traten, was edle Stifter auf immer zu gruͤnden bemuͤht geweſen.
Bei unſerem Anton war das nun freilich ein an- derer Fall. Er wuͤrde aus freiem eigenen Willen nichts unternommen haben, was er mit ſeiner Anhaͤng- lichkeit fuͤr die Verſtorbene nicht vereinbar gefunden. Man zwang ihn dazu.
Einige Wochen waren ihm unter Arbeit und truͤ- bem Sinnen verſtrichen; der wilde Schmerz fing an ſich in wehmuͤthiger Trauer zu beſaͤnftigen; mitunter zuckte auch ſchon wieder ein Blitz jugendlich-feuriger Lebensluſt ihm durch die Adern, — doch er gedachte an die Warnungen ſeiner Sterbenden und ergab ſich entſagender Geduld.
Vom Schloſſe vernahm er nur durch Andere. Der Bankerott war erklaͤrt. Die natuͤrlichen Erbinnen des Baron’s wagten nicht, ihre Rechte in Anſpruch
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Deutung geben und Auswege finden, ſie zu umgehen!
Man vernimmt haͤufig im Volke jenes albern-klingende
Wort: wenn der Verſtorbene das wuͤßte, im Grabe
wuͤrd’ er ſich umkehren! Und ſo albern es klingt, es
iſt uns Allen gewiß auch ſchon wider unſern eigenen
Willen auf die Zunge gekommen, wenn wir mit an-
ſehen mußten, wie herzloſe Erben, oder auch der
„große Zeitgeiſt“ unter ihre Fuͤße traten, was edle
Stifter auf immer zu gruͤnden bemuͤht geweſen.
Bei unſerem Anton war das nun freilich ein an-
derer Fall. Er wuͤrde aus freiem eigenen Willen
nichts unternommen haben, was er mit ſeiner Anhaͤng-
lichkeit fuͤr die Verſtorbene nicht vereinbar gefunden.
Man zwang ihn dazu.
Einige Wochen waren ihm unter Arbeit und truͤ-
bem Sinnen verſtrichen; der wilde Schmerz fing an
ſich in wehmuͤthiger Trauer zu beſaͤnftigen; mitunter
zuckte auch ſchon wieder ein Blitz jugendlich-feuriger
Lebensluſt ihm durch die Adern, — doch er gedachte
an die Warnungen ſeiner Sterbenden und ergab ſich
entſagender Geduld.
Vom Schloſſe vernahm er nur durch Andere. Der
Bankerott war erklaͤrt. Die natuͤrlichen Erbinnen
des Baron’s wagten nicht, ihre Rechte in Anſpruch
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/227>, abgerufen am 06.05.2024.
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