Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

für Dich. Du warst immer gehorsam, sorgfältig,
anhänglich; Du hast mich nie betrüben wollen; Du
bist ein fleißiger, ordentlicher Junge. Was sonst in
Dir rumort, Deine verwunderlichen Jdeen und Sa-
chen, -- dafür kannst Du nicht. Das ist angeboren;
das sagt mir mein gesunder Menschenverstand. Der
Hirsch ist kein Schaf und ein Pferd kann keine Kuh
werden. Es kommt nur darauf an, daß man sich
einen Zaum anlegt; daß man sich beherrschen lernt.
Und das wirst Du lernen, mein Alter, mit den Jah-
ren, mit der Zeit. Wenn 's zu arg in Dir tobt, wenn
des Vaters und der Mutter Geblüte Dich turbiret,
dann gedenk' an die Großmutter; gedenk' an ihre
letzten Worte. Nicht wahr, das thust Du? Und noch
einen Kuß gieb mir, Anton, einen herzlichen Kuß,
wie Du mir jeden Abend gegeben, bevor Du in Deine
Schlummerstätte gingst. Du wirst noch viele Küsse
geben und empfangen; gar manchesmal werden Deine
Lippen an einem jungen, frischen Munde hangen;
das ist schon nicht anders bei euch nichtsnutzigen
Mannsbildern und der Beste von euch taugt nicht
viel, wie mir sogar mein seeliger Hahn eingestan-
den; .... aber kein Kuß wird so redlich gemeint sein,
wie dieser letzte Kuß, den Deine alte Großmutter

fuͤr Dich. Du warſt immer gehorſam, ſorgfaͤltig,
anhaͤnglich; Du haſt mich nie betruͤben wollen; Du
biſt ein fleißiger, ordentlicher Junge. Was ſonſt in
Dir rumort, Deine verwunderlichen Jdeen und Sa-
chen, — dafuͤr kannſt Du nicht. Das iſt angeboren;
das ſagt mir mein geſunder Menſchenverſtand. Der
Hirſch iſt kein Schaf und ein Pferd kann keine Kuh
werden. Es kommt nur darauf an, daß man ſich
einen Zaum anlegt; daß man ſich beherrſchen lernt.
Und das wirſt Du lernen, mein Alter, mit den Jah-
ren, mit der Zeit. Wenn ’s zu arg in Dir tobt, wenn
des Vaters und der Mutter Gebluͤte Dich turbiret,
dann gedenk’ an die Großmutter; gedenk’ an ihre
letzten Worte. Nicht wahr, das thuſt Du? Und noch
einen Kuß gieb mir, Anton, einen herzlichen Kuß,
wie Du mir jeden Abend gegeben, bevor Du in Deine
Schlummerſtaͤtte gingſt. Du wirſt noch viele Kuͤſſe
geben und empfangen; gar manchesmal werden Deine
Lippen an einem jungen, friſchen Munde hangen;
das iſt ſchon nicht anders bei euch nichtsnutzigen
Mannsbildern und der Beſte von euch taugt nicht
viel, wie mir ſogar mein ſeeliger Hahn eingeſtan-
den; .... aber kein Kuß wird ſo redlich gemeint ſein,
wie dieſer letzte Kuß, den Deine alte Großmutter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0220" n="204"/>
fu&#x0364;r Dich. Du war&#x017F;t immer gehor&#x017F;am, &#x017F;orgfa&#x0364;ltig,<lb/>
anha&#x0364;nglich; Du ha&#x017F;t mich nie betru&#x0364;ben wollen; Du<lb/>
bi&#x017F;t ein fleißiger, ordentlicher Junge. Was &#x017F;on&#x017F;t in<lb/>
Dir rumort, Deine verwunderlichen Jdeen und Sa-<lb/>
chen, &#x2014; dafu&#x0364;r kann&#x017F;t Du nicht. Das i&#x017F;t angeboren;<lb/>
das &#x017F;agt mir mein ge&#x017F;under Men&#x017F;chenver&#x017F;tand. Der<lb/>
Hir&#x017F;ch i&#x017F;t kein Schaf und ein Pferd kann keine Kuh<lb/>
werden. Es kommt nur darauf an, daß man &#x017F;ich<lb/>
einen Zaum anlegt; daß man &#x017F;ich beherr&#x017F;chen lernt.<lb/>
Und das wir&#x017F;t Du lernen, mein Alter, mit den Jah-<lb/>
ren, mit der Zeit. Wenn &#x2019;s zu arg in Dir tobt, wenn<lb/>
des Vaters und der Mutter Geblu&#x0364;te Dich turbiret,<lb/>
dann gedenk&#x2019; an die Großmutter; gedenk&#x2019; an ihre<lb/>
letzten Worte. Nicht wahr, das thu&#x017F;t Du? Und noch<lb/>
einen Kuß gieb mir, Anton, einen herzlichen Kuß,<lb/>
wie Du mir jeden Abend gegeben, bevor Du in Deine<lb/>
Schlummer&#x017F;ta&#x0364;tte ging&#x017F;t. Du wir&#x017F;t noch viele Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;e<lb/>
geben und empfangen; gar manchesmal werden Deine<lb/>
Lippen an einem jungen, fri&#x017F;chen Munde hangen;<lb/>
das i&#x017F;t &#x017F;chon nicht anders bei euch nichtsnutzigen<lb/>
Mannsbildern und der Be&#x017F;te von euch taugt nicht<lb/>
viel, wie mir &#x017F;ogar mein &#x017F;eeliger Hahn einge&#x017F;tan-<lb/>
den; .... aber kein Kuß wird &#x017F;o redlich gemeint &#x017F;ein,<lb/>
wie die&#x017F;er letzte Kuß, den Deine alte Großmutter<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0220] fuͤr Dich. Du warſt immer gehorſam, ſorgfaͤltig, anhaͤnglich; Du haſt mich nie betruͤben wollen; Du biſt ein fleißiger, ordentlicher Junge. Was ſonſt in Dir rumort, Deine verwunderlichen Jdeen und Sa- chen, — dafuͤr kannſt Du nicht. Das iſt angeboren; das ſagt mir mein geſunder Menſchenverſtand. Der Hirſch iſt kein Schaf und ein Pferd kann keine Kuh werden. Es kommt nur darauf an, daß man ſich einen Zaum anlegt; daß man ſich beherrſchen lernt. Und das wirſt Du lernen, mein Alter, mit den Jah- ren, mit der Zeit. Wenn ’s zu arg in Dir tobt, wenn des Vaters und der Mutter Gebluͤte Dich turbiret, dann gedenk’ an die Großmutter; gedenk’ an ihre letzten Worte. Nicht wahr, das thuſt Du? Und noch einen Kuß gieb mir, Anton, einen herzlichen Kuß, wie Du mir jeden Abend gegeben, bevor Du in Deine Schlummerſtaͤtte gingſt. Du wirſt noch viele Kuͤſſe geben und empfangen; gar manchesmal werden Deine Lippen an einem jungen, friſchen Munde hangen; das iſt ſchon nicht anders bei euch nichtsnutzigen Mannsbildern und der Beſte von euch taugt nicht viel, wie mir ſogar mein ſeeliger Hahn eingeſtan- den; .... aber kein Kuß wird ſo redlich gemeint ſein, wie dieſer letzte Kuß, den Deine alte Großmutter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/220
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/220>, abgerufen am 24.11.2024.