Daß es Golo mit Genoveva gewesen, die auf eine nächtliche Fahrt auszogen, darüber blieb ihm kein Zweifel. Hätt' er sich in seiner Seele frei und rein gewußt, würde wohl auch eine Besorgniß, es könne seinem "Erb-, Grund- und Gerichts-Herrn" etwas Uebles zugedacht sein, ihn angetrieben haben, dem leichten Pärchen zu folgen? Furcht war es nicht, was ihn zurück hielt. Weil er sich aber nicht verhehlen mochte, daß in den Eindruck, den des braunen Mäd- chens bedenkliche Schönheit auf ihn gemacht, sich nei- dische Bitterkeit gegen den schwarzen Wolfgang mische, so fand er sich nicht berufen, zwischen sie und ihre Abentheuer zu treten. Er eilte vielmehr nach dem großmütterlichen Häuschen, so rasch die dunkle Nacht gestatten wollte; dankte Gott, daß er die Alte schlafend fand; kroch unter seine Decke; betete das kurze vielsagende Gebet, welches er aus der Kindheit fromm bewahrt; und bracht' es wirklich zu einem gesunden stärkenden Schlummer, aus dem erst die Großmutter ihn zur Morgensuppe emporschütteln mußte. Außer dieser gewöhnlichen Suppe brachte diesmal der Morgen zwei ungewöhnliche Neuigkeiten, die von einer Hausthür, von einer Obstgarten-Umzäu- nung zur anderen aus gesprächtiger Nachbarinnen
Daß es Golo mit Genoveva geweſen, die auf eine naͤchtliche Fahrt auszogen, daruͤber blieb ihm kein Zweifel. Haͤtt’ er ſich in ſeiner Seele frei und rein gewußt, wuͤrde wohl auch eine Beſorgniß, es koͤnne ſeinem „Erb-, Grund- und Gerichts-Herrn“ etwas Uebles zugedacht ſein, ihn angetrieben haben, dem leichten Paͤrchen zu folgen? Furcht war es nicht, was ihn zuruͤck hielt. Weil er ſich aber nicht verhehlen mochte, daß in den Eindruck, den des braunen Maͤd- chens bedenkliche Schoͤnheit auf ihn gemacht, ſich nei- diſche Bitterkeit gegen den ſchwarzen Wolfgang miſche, ſo fand er ſich nicht berufen, zwiſchen ſie und ihre Abentheuer zu treten. Er eilte vielmehr nach dem großmuͤtterlichen Haͤuschen, ſo raſch die dunkle Nacht geſtatten wollte; dankte Gott, daß er die Alte ſchlafend fand; kroch unter ſeine Decke; betete das kurze vielſagende Gebet, welches er aus der Kindheit fromm bewahrt; und bracht’ es wirklich zu einem geſunden ſtaͤrkenden Schlummer, aus dem erſt die Großmutter ihn zur Morgenſuppe emporſchuͤtteln mußte. Außer dieſer gewoͤhnlichen Suppe brachte diesmal der Morgen zwei ungewoͤhnliche Neuigkeiten, die von einer Hausthuͤr, von einer Obſtgarten-Umzaͤu- nung zur anderen aus geſpraͤchtiger Nachbarinnen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0130"n="114"/><p>Daß es Golo mit Genoveva geweſen, die auf eine<lb/>
naͤchtliche Fahrt auszogen, daruͤber blieb ihm kein<lb/>
Zweifel. Haͤtt’ er ſich in ſeiner Seele frei und rein<lb/>
gewußt, wuͤrde wohl auch eine Beſorgniß, es koͤnne<lb/>ſeinem „Erb-, Grund- und Gerichts-Herrn“ etwas<lb/>
Uebles zugedacht ſein, ihn angetrieben haben, dem<lb/>
leichten Paͤrchen zu folgen? Furcht war es nicht, was<lb/>
ihn zuruͤck hielt. Weil er ſich aber nicht verhehlen<lb/>
mochte, daß in den Eindruck, den des braunen Maͤd-<lb/>
chens bedenkliche Schoͤnheit auf ihn gemacht, ſich nei-<lb/>
diſche Bitterkeit gegen den ſchwarzen Wolfgang<lb/>
miſche, ſo fand er ſich nicht berufen, zwiſchen ſie und<lb/>
ihre Abentheuer zu treten. Er eilte vielmehr nach<lb/>
dem großmuͤtterlichen Haͤuschen, ſo raſch die dunkle<lb/>
Nacht geſtatten wollte; dankte Gott, daß er die Alte<lb/>ſchlafend fand; kroch unter ſeine Decke; betete das<lb/>
kurze vielſagende Gebet, welches er aus der Kindheit<lb/>
fromm bewahrt; und bracht’ es wirklich zu einem<lb/>
geſunden ſtaͤrkenden Schlummer, aus dem erſt die<lb/>
Großmutter ihn zur Morgenſuppe emporſchuͤtteln<lb/>
mußte. Außer dieſer gewoͤhnlichen Suppe brachte<lb/>
diesmal der Morgen zwei ungewoͤhnliche Neuigkeiten,<lb/>
die von einer Hausthuͤr, von einer Obſtgarten-Umzaͤu-<lb/>
nung zur anderen aus geſpraͤchtiger Nachbarinnen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[114/0130]
Daß es Golo mit Genoveva geweſen, die auf eine
naͤchtliche Fahrt auszogen, daruͤber blieb ihm kein
Zweifel. Haͤtt’ er ſich in ſeiner Seele frei und rein
gewußt, wuͤrde wohl auch eine Beſorgniß, es koͤnne
ſeinem „Erb-, Grund- und Gerichts-Herrn“ etwas
Uebles zugedacht ſein, ihn angetrieben haben, dem
leichten Paͤrchen zu folgen? Furcht war es nicht, was
ihn zuruͤck hielt. Weil er ſich aber nicht verhehlen
mochte, daß in den Eindruck, den des braunen Maͤd-
chens bedenkliche Schoͤnheit auf ihn gemacht, ſich nei-
diſche Bitterkeit gegen den ſchwarzen Wolfgang
miſche, ſo fand er ſich nicht berufen, zwiſchen ſie und
ihre Abentheuer zu treten. Er eilte vielmehr nach
dem großmuͤtterlichen Haͤuschen, ſo raſch die dunkle
Nacht geſtatten wollte; dankte Gott, daß er die Alte
ſchlafend fand; kroch unter ſeine Decke; betete das
kurze vielſagende Gebet, welches er aus der Kindheit
fromm bewahrt; und bracht’ es wirklich zu einem
geſunden ſtaͤrkenden Schlummer, aus dem erſt die
Großmutter ihn zur Morgenſuppe emporſchuͤtteln
mußte. Außer dieſer gewoͤhnlichen Suppe brachte
diesmal der Morgen zwei ungewoͤhnliche Neuigkeiten,
die von einer Hausthuͤr, von einer Obſtgarten-Umzaͤu-
nung zur anderen aus geſpraͤchtiger Nachbarinnen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/130>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.