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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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sowohl, als ihre nicht besser sprechenden Kunstgenos-
sen, dennoch einigen Eindruck auf mich gemacht haben,
durch ihre Aufführung. Freilich war ich noch sehr
jung, hatte jedoch schon manches Große und Erhabene
gesehen auf den Brettern der Hauptstadt und schäme
mich nicht, zu bekennen, daß ich trotz dem ergriffen
wurde, von etlichen Auftritten jener Dorfkomödie.

Der zweite Gegenstand, dem man fast noch häu-
figer begegnete; durch den auch unser Anton in die
Zauberwelt dramatischer Poesie eingeführt werden soll,
war die stets wiederkehrende Geschichte der heil. Ge-
noveva, bisweilen untermengt mit einigen Zügen und
Andeutungen aus der getreuen Briseldis (siehe das
Volksbuch vom Markgrafen Walthern!); späterem
Geschlechte durch Halm's Griseldis in die Herzen
gerufen. Das edle, duldende, vom Gatten verstoßene,
endlich durch den Lohn ihrer Tugend selige Weib.

Die Rollenbesetzung bei der Wanderbühne in
Liebenau war nicht so übel. Der große Samuel gab
einen stolzen Siegfried; Schwester Bärbel eine schöne,
wenn auch keinesweges heilige Genoveva; doch wußte
sie gar trefflich die Mienen der Unschuld nachzuahmen,
wobei nur zu erforschen bliebe, wen um Alles in der
Welt, aus dem Kreise ihrer Bekanntschaft sie sich

ſowohl, als ihre nicht beſſer ſprechenden Kunſtgenoſ-
ſen, dennoch einigen Eindruck auf mich gemacht haben,
durch ihre Auffuͤhrung. Freilich war ich noch ſehr
jung, hatte jedoch ſchon manches Große und Erhabene
geſehen auf den Brettern der Hauptſtadt und ſchaͤme
mich nicht, zu bekennen, daß ich trotz dem ergriffen
wurde, von etlichen Auftritten jener Dorfkomoͤdie.

Der zweite Gegenſtand, dem man faſt noch haͤu-
figer begegnete; durch den auch unſer Anton in die
Zauberwelt dramatiſcher Poeſie eingefuͤhrt werden ſoll,
war die ſtets wiederkehrende Geſchichte der heil. Ge-
noveva, bisweilen untermengt mit einigen Zuͤgen und
Andeutungen aus der getreuen Briſeldis (ſiehe das
Volksbuch vom Markgrafen Walthern!); ſpaͤterem
Geſchlechte durch Halm’s Griſeldis in die Herzen
gerufen. Das edle, duldende, vom Gatten verſtoßene,
endlich durch den Lohn ihrer Tugend ſelige Weib.

Die Rollenbeſetzung bei der Wanderbuͤhne in
Liebenau war nicht ſo uͤbel. Der große Samuel gab
einen ſtolzen Siegfried; Schweſter Baͤrbel eine ſchoͤne,
wenn auch keinesweges heilige Genoveva; doch wußte
ſie gar trefflich die Mienen der Unſchuld nachzuahmen,
wobei nur zu erforſchen bliebe, wen um Alles in der
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[103/0119] ſowohl, als ihre nicht beſſer ſprechenden Kunſtgenoſ- ſen, dennoch einigen Eindruck auf mich gemacht haben, durch ihre Auffuͤhrung. Freilich war ich noch ſehr jung, hatte jedoch ſchon manches Große und Erhabene geſehen auf den Brettern der Hauptſtadt und ſchaͤme mich nicht, zu bekennen, daß ich trotz dem ergriffen wurde, von etlichen Auftritten jener Dorfkomoͤdie. Der zweite Gegenſtand, dem man faſt noch haͤu- figer begegnete; durch den auch unſer Anton in die Zauberwelt dramatiſcher Poeſie eingefuͤhrt werden ſoll, war die ſtets wiederkehrende Geſchichte der heil. Ge- noveva, bisweilen untermengt mit einigen Zuͤgen und Andeutungen aus der getreuen Briſeldis (ſiehe das Volksbuch vom Markgrafen Walthern!); ſpaͤterem Geſchlechte durch Halm’s Griſeldis in die Herzen gerufen. Das edle, duldende, vom Gatten verſtoßene, endlich durch den Lohn ihrer Tugend ſelige Weib. Die Rollenbeſetzung bei der Wanderbuͤhne in Liebenau war nicht ſo uͤbel. Der große Samuel gab einen ſtolzen Siegfried; Schweſter Baͤrbel eine ſchoͤne, wenn auch keinesweges heilige Genoveva; doch wußte ſie gar trefflich die Mienen der Unſchuld nachzuahmen, wobei nur zu erforſchen bliebe, wen um Alles in der Welt, aus dem Kreiſe ihrer Bekanntſchaft ſie ſich

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/119>, abgerufen am 03.05.2024.