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Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679.

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Der sterbende
Criton/ ich halte die Sonne ist noch nicht untergan-
gen/ und ich weiß gar wol das andere lange ver-
weilen/ nach dem sie Befehl bekommen/ das Gifft
zu sich zu nehmen; Ja sie trüncken es auch wol
offte nicht eher/ biß sie ihre Lust in dem und je-
nem zur Genüge gebüsset haben: Derohalben
darffst du nicht eilen/ es hat noch gute Zeit. Die-
ser Art Leute/ meldete Socrates/ haben ihre Ursa-
che/ dann sie meinen etwas dadurch zu geniessen.
Und ich habe auch meine Ursache/ nicht dergestalt
zuverfahren/ dann ich würde nur durch dieses Auf-
schieben ein Gespötte verursachen/ als wann ich das
Leben allzusehr liebete/ und etwas erspahren wolte/
so nicht mehr in meinem Vermögen ist. Thue
mir aber diesen Gefallen/ und verrichte was ich dir
gesagt habe. Als Criton seinen endlichen Schluß
verstanden/ so gab er einem Knaben/ so nicht
weit von ihnen stand/ ein Zeichen. Dieser Knabe
gieng aus der Cammer/ und kam mit einem der
das Gifft in einem Becher trug/ eilfertig wiede-
rum zurücke. Als Socrates ihn ersahe/ so sag-
te er: Mein sage mir/ weil du es am besten weist/
wie ich mich nun verhalten soll? Du darffst nichts
anders thun/ antwortete dieser/ als wann du ge-
truncken/ auf und niedergehen/ biß du eine Mü-
digkeit in den Schenckeln fühlest/ darauf kanst du
dich niederlegen/ und überreichte ihm damit den
Becher. Socrates nahm den Becher mit freu-
digem Gesichte/ ohne eintzige Veränderung der-
Far-
Der ſterbende
Criton/ ich halte die Sonne iſt noch nicht untergan-
gen/ und ich weiß gar wol das andere lange ver-
weilen/ nach dem ſie Befehl bekommen/ das Gifft
zu ſich zu nehmen; Ja ſie truͤncken es auch wol
offte nicht eher/ biß ſie ihre Luſt in dem und je-
nem zur Genuͤge gebuͤſſet haben: Derohalben
darffſt du nicht eilen/ es hat noch gute Zeit. Die-
ſer Art Leute/ meldete Socrates/ haben ihre Urſa-
che/ dann ſie meinen etwas dadurch zu genieſſen.
Und ich habe auch meine Urſache/ nicht dergeſtalt
zuverfahren/ dann ich wuͤrde nur durch dieſes Auf-
ſchieben ein Geſpoͤtte verurſachen/ als wann ich das
Leben allzuſehr liebete/ und etwas erſpahren wolte/
ſo nicht mehr in meinem Vermoͤgen iſt. Thue
mir aber dieſen Gefallen/ und verrichte was ich dir
geſagt habe. Als Criton ſeinen endlichen Schluß
verſtanden/ ſo gab er einem Knaben/ ſo nicht
weit von ihnen ſtand/ ein Zeichen. Dieſer Knabe
gieng aus der Cammer/ und kam mit einem der
das Gifft in einem Becher trug/ eilfertig wiede-
rum zuruͤcke. Als Socrates ihn erſahe/ ſo ſag-
te er: Mein ſage mir/ weil du es am beſten weiſt/
wie ich mich nun verhalten ſoll? Du darffſt nichts
anders thun/ antwortete dieſer/ als wann du ge-
truncken/ auf und niedergehen/ biß du eine Muͤ-
digkeit in den Schenckeln fuͤhleſt/ darauf kanſt du
dich niederlegen/ und uͤberreichte ihm damit den
Becher. Socrates nahm den Becher mit freu-
digem Geſichte/ ohne eintzige Veraͤnderung der-
Far-
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[148/0406] Der ſterbende Criton/ ich halte die Sonne iſt noch nicht untergan- gen/ und ich weiß gar wol das andere lange ver- weilen/ nach dem ſie Befehl bekommen/ das Gifft zu ſich zu nehmen; Ja ſie truͤncken es auch wol offte nicht eher/ biß ſie ihre Luſt in dem und je- nem zur Genuͤge gebuͤſſet haben: Derohalben darffſt du nicht eilen/ es hat noch gute Zeit. Die- ſer Art Leute/ meldete Socrates/ haben ihre Urſa- che/ dann ſie meinen etwas dadurch zu genieſſen. Und ich habe auch meine Urſache/ nicht dergeſtalt zuverfahren/ dann ich wuͤrde nur durch dieſes Auf- ſchieben ein Geſpoͤtte verurſachen/ als wann ich das Leben allzuſehr liebete/ und etwas erſpahren wolte/ ſo nicht mehr in meinem Vermoͤgen iſt. Thue mir aber dieſen Gefallen/ und verrichte was ich dir geſagt habe. Als Criton ſeinen endlichen Schluß verſtanden/ ſo gab er einem Knaben/ ſo nicht weit von ihnen ſtand/ ein Zeichen. Dieſer Knabe gieng aus der Cammer/ und kam mit einem der das Gifft in einem Becher trug/ eilfertig wiede- rum zuruͤcke. Als Socrates ihn erſahe/ ſo ſag- te er: Mein ſage mir/ weil du es am beſten weiſt/ wie ich mich nun verhalten ſoll? Du darffſt nichts anders thun/ antwortete dieſer/ als wann du ge- truncken/ auf und niedergehen/ biß du eine Muͤ- digkeit in den Schenckeln fuͤhleſt/ darauf kanſt du dich niederlegen/ und uͤberreichte ihm damit den Becher. Socrates nahm den Becher mit freu- digem Geſichte/ ohne eintzige Veraͤnderung der- Far-

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Zitationshilfe: Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannswaldau_uebersetzungen_1679/406>, abgerufen am 25.11.2024.