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Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679.

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Der sterbende
Phädon.
Darauf begunte einer von der Gesellschafft (ich
weiß wol nicht welcher) gantz bestürtzt zu sagen: Lie-
ben Götter/ hat man uns nicht kurtz zuvor/ gantz et-
was anders/ als was itzund fürgebracht wird/ ge-
standen. Dann man hat ja erweisen wollen/ daß
aus dem Kleinern das Grössere/ und aus dem Grös-
seren das Kleinere würde/ und unfehlbar etwas Wi-
driges aus des Widrigen Gegenspiel entstünde. So-
crates rückte damals mit seinem Kopffe ein wenig
herfür/ und sagte: Du hast fürwar ein gutes Ge-
dächtniß/ der du dieses behalten hast. Du weist a-
ber nicht den Unterscheid desjenigen/ was ich itzund
behauptet/ und dessen was ich zuvor fürgebracht;
Denn damals haben wir gesagt/ daß von etwas
Widrigem/ wiederum etwas Widriges entstünde/
und hier sagen wir/ daß das Widrige niemals ihme
selber etwas widriges werden könne. Wir rede-
ten erstlich von Sachen die gewisse Gegensätze ha-
ben/ und bezeichneten sie mit dem Nahmen ihr es wi-
drigen. Jtzund aber reden wir von den Gegensätzen
die aus diesen kommen/ davon sie den Namen ha-
ben/ und sagen/ daß niemals ein Gegenspiel eigend-
lich aus sich selber kommen könne. Darauf richte-
te er die Augen auf den Cebes/ sagende/ kamen dir
diese Einwürffe, nicht bedencklich für?
Cebes.
Keines weges.
So-
Der ſterbende
Phaͤdon.
Darauf begunte einer von der Geſellſchafft (ich
weiß wol nicht welcher) gantz beſtuͤrtzt zu ſagen: Lie-
ben Goͤtter/ hat man uns nicht kurtz zuvor/ gantz et-
was anders/ als was itzund fuͤrgebracht wird/ ge-
ſtanden. Dann man hat ja erweiſen wollen/ daß
aus dem Kleinern das Groͤſſere/ und aus dem Groͤſ-
ſeren das Kleinere wuͤrde/ uñ unfehlbar etwas Wi-
driges aus des Widrigen Gegenſpiel entſtuͤnde. So-
crates ruͤckte damals mit ſeinem Kopffe ein wenig
herfuͤr/ und ſagte: Du haſt fuͤrwar ein gutes Ge-
daͤchtniß/ der du dieſes behalten haſt. Du weiſt a-
ber nicht den Unterſcheid desjenigen/ was ich itzund
behauptet/ und deſſen was ich zuvor fuͤrgebracht;
Denn damals haben wir geſagt/ daß von etwas
Widrigem/ wiederum etwas Widriges entſtuͤnde/
und hier ſagen wir/ daß das Widrige niemals ihme
ſelber etwas widriges werden koͤnne. Wir rede-
ten erſtlich von Sachen die gewiſſe Gegenſaͤtze ha-
ben/ uñ bezeichneten ſie mit dem Nahmen ihr es wi-
drigen. Jtzund aber reden wir von den Gegenſaͤtzen
die aus dieſen kommen/ davon ſie den Namen ha-
ben/ und ſagen/ daß niemals ein Gegenſpiel eigend-
lich aus ſich ſelber kommen koͤnne. Darauf richte-
te er die Augen auf den Cebes/ ſagende/ kamen dir
dieſe Einwuͤrffe, nicht bedencklich fuͤr?
Cebes.
Keines weges.
So-
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[108/0366] Der ſterbende Phaͤdon. Darauf begunte einer von der Geſellſchafft (ich weiß wol nicht welcher) gantz beſtuͤrtzt zu ſagen: Lie- ben Goͤtter/ hat man uns nicht kurtz zuvor/ gantz et- was anders/ als was itzund fuͤrgebracht wird/ ge- ſtanden. Dann man hat ja erweiſen wollen/ daß aus dem Kleinern das Groͤſſere/ und aus dem Groͤſ- ſeren das Kleinere wuͤrde/ uñ unfehlbar etwas Wi- driges aus des Widrigen Gegenſpiel entſtuͤnde. So- crates ruͤckte damals mit ſeinem Kopffe ein wenig herfuͤr/ und ſagte: Du haſt fuͤrwar ein gutes Ge- daͤchtniß/ der du dieſes behalten haſt. Du weiſt a- ber nicht den Unterſcheid desjenigen/ was ich itzund behauptet/ und deſſen was ich zuvor fuͤrgebracht; Denn damals haben wir geſagt/ daß von etwas Widrigem/ wiederum etwas Widriges entſtuͤnde/ und hier ſagen wir/ daß das Widrige niemals ihme ſelber etwas widriges werden koͤnne. Wir rede- ten erſtlich von Sachen die gewiſſe Gegenſaͤtze ha- ben/ uñ bezeichneten ſie mit dem Nahmen ihr es wi- drigen. Jtzund aber reden wir von den Gegenſaͤtzen die aus dieſen kommen/ davon ſie den Namen ha- ben/ und ſagen/ daß niemals ein Gegenſpiel eigend- lich aus ſich ſelber kommen koͤnne. Darauf richte- te er die Augen auf den Cebes/ ſagende/ kamen dir dieſe Einwuͤrffe, nicht bedencklich fuͤr? Cebes. Keines weges. So-

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Zitationshilfe: Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannswaldau_uebersetzungen_1679/366>, abgerufen am 18.05.2024.