Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679.Der sterbende ihr wissen/ wie diese Betrachtung mich dermassenverblendet/ daß ich nicht alleine nichts neues erler- nen konte/ sondern auch das jenige dabey vergäß/ was ich mir zuvor wol bekant gemacht/ und was ich meiner Meinung nach vortreflich wol wuste/ benent- lich/ wie ein Mensch wächst und zunimmet/ dann ich dachte es wäre sonnenklar/ daß Essen und Trin- cken einen Menschen wachsend machten/ und wann Fleisch zu Fleisch/ Bein zu Bein/ und wie in allen an- dern Dingen/ das jenige/ was noch ermangelt/ zu dem/ was einen Mangel leidet/ sich verfüget/ aus einem kleinen Kloß ein grosser/ und aus einem klei- nen Menschen ein grosser nothwendig werden mü- ste. Das war damals meine gäntzliche Meinung. Meinest du nicht daß ich wol damit verfuhr? Jch halte sie vor köstlich/ sagte Cebes. So erwege dann noch dieses. Jch meinete/ daß ich es für treflich wol treffe/ wann ich etwan einen grossen Menschen bey einem kleinern oder ein grosses Pferd bey einem kleineren sehe/ mir dabey einzubilden/ daß der Mensch und das Pferd des Kopfs grösser wäre/ wie auch daß zehen mehr als achte seyn müsten/ weil zwey Zahlen noch dazu kämen/ und daß ein Maß von zwey Ellen/ nothwendig grösser als das von ei- ner Ellen seyn würde. Jtzund aber/ sagte Cebes/ was bedüncket dich wol davon? Es ist in War- heit/ antwortete Socrates/ noch weit gefehlet/ daß ich mir einen rechten Verstand aus diesem erzwin- gen solle/ denn es wil noch nicht recht ein/ daß/ wann man eines zu einem setzet/ selbiges eines so dazu ge- se-
Der ſterbende ihr wiſſen/ wie dieſe Betrachtung mich dermaſſenverblendet/ daß ich nicht alleine nichts neues erler- nen konte/ ſondern auch das jenige dabey vergaͤß/ was ich mir zuvor wol bekant gemacht/ und was ich meiner Meinung nach vortreflich wol wuſte/ benent- lich/ wie ein Menſch waͤchſt und zunimmet/ dann ich dachte es waͤre ſonnenklar/ daß Eſſen und Trin- cken einen Menſchen wachſend machten/ und wann Fleiſch zu Fleiſch/ Bein zu Bein/ uñ wie in allen an- dern Dingen/ das jenige/ was noch ermangelt/ zu dem/ was einen Mangel leidet/ ſich verfuͤget/ aus einem kleinen Kloß ein groſſer/ und aus einem klei- nen Menſchen ein groſſer nothwendig werden muͤ- ſte. Das war damals meine gaͤntzliche Meinung. Meineſt du nicht daß ich wol damit verfuhr? Jch halte ſie vor koͤſtlich/ ſagte Cebes. So erwege dann noch dieſes. Jch meinete/ daß ich es fuͤr treflich wol treffe/ wann ich etwan einen groſſen Menſchen bey einem kleinern oder ein groſſes Pferd bey einem kleineren ſehe/ mir dabey einzubilden/ daß der Menſch und das Pferd des Kopfs groͤſſer waͤre/ wie auch daß zehen mehr als achte ſeyn muͤſten/ weil zwey Zahlen noch dazu kaͤmen/ und daß ein Maß von zwey Ellen/ nothwendig groͤſſer als das von ei- ner Ellen ſeyn wuͤrde. Jtzund aber/ ſagte Cebes/ was beduͤncket dich wol davon? Es iſt in War- heit/ antwortete Socrates/ noch weit gefehlet/ daß ich mir einen rechten Verſtand aus dieſem erzwin- gen ſolle/ denn es wil noch nicht recht ein/ daß/ wann man eines zu einem ſetzet/ ſelbiges eines ſo dazu ge- ſe-
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Der ſterbende
ihr wiſſen/ wie dieſe Betrachtung mich dermaſſen
verblendet/ daß ich nicht alleine nichts neues erler-
nen konte/ ſondern auch das jenige dabey vergaͤß/
was ich mir zuvor wol bekant gemacht/ und was ich
meiner Meinung nach vortreflich wol wuſte/ benent-
lich/ wie ein Menſch waͤchſt und zunimmet/ dann
ich dachte es waͤre ſonnenklar/ daß Eſſen und Trin-
cken einen Menſchen wachſend machten/ und wann
Fleiſch zu Fleiſch/ Bein zu Bein/ uñ wie in allen an-
dern Dingen/ das jenige/ was noch ermangelt/ zu
dem/ was einen Mangel leidet/ ſich verfuͤget/ aus
einem kleinen Kloß ein groſſer/ und aus einem klei-
nen Menſchen ein groſſer nothwendig werden muͤ-
ſte. Das war damals meine gaͤntzliche Meinung.
Meineſt du nicht daß ich wol damit verfuhr? Jch
halte ſie vor koͤſtlich/ ſagte Cebes. So erwege
dann noch dieſes. Jch meinete/ daß ich es fuͤr treflich
wol treffe/ wann ich etwan einen groſſen Menſchen
bey einem kleinern oder ein groſſes Pferd bey einem
kleineren ſehe/ mir dabey einzubilden/ daß der
Menſch und das Pferd des Kopfs groͤſſer waͤre/ wie
auch daß zehen mehr als achte ſeyn muͤſten/ weil
zwey Zahlen noch dazu kaͤmen/ und daß ein Maß
von zwey Ellen/ nothwendig groͤſſer als das von ei-
ner Ellen ſeyn wuͤrde. Jtzund aber/ ſagte Cebes/
was beduͤncket dich wol davon? Es iſt in War-
heit/ antwortete Socrates/ noch weit gefehlet/ daß
ich mir einen rechten Verſtand aus dieſem erzwin-
gen ſolle/ denn es wil noch nicht recht ein/ daß/ wann
man eines zu einem ſetzet/ ſelbiges eines ſo dazu ge-
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