Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679.Der sterbende ein Feind aller vernünfftigen Meinungen/ nichts an-ders/ als ein Krancker/ der die Bitterkeit seines Ge- schmacks den Speisen zuschreibet/ seine Unvollkom- menheit den besten Beweiß-Gründen beymässen/ ihnen gehäßig werden/ und sich allen gewissen Er- käntniß der Sachen entziehen solte. Sein falscher Geist wil immer wancken/ Und fust auf nichts was er erkiest/ Er folgt dem Gaumen bey dem Krancken/ Dem alles herb und bitter ist. Mein Phädon schaue wie die Sinnen/ Jch red in diesem nicht zu scharff/ Gar bald verführet werden können/ Und man den Artzt auch hier bedarff. Man findet tausend tausend Sachen Die in der Warheits Wage gehn/ Und da kein Mensch darff Zweiffel machen/ Daß sie nicht im Gewichte stehn. Der Mangel aber der Gedancken/ Reist manche gute Sache ein; Dann wer begint nicht offt zu wancken? Drum trachte man recht klug zu seyn. Jch zwar den Vortheil zu geniessen/ Und hinzugehn Vergnügungs voll/ Und ihr/ damit ihr stets könt wissen/ Wie man der Weißheit brauchen soll. Dann weil ich heute noch soll scheiden/ Und mich der bleiche Todt begrüst/ So wil ich diesen Fürwurff meiden/ Als liebt ich ungereimten Zwist. Wer
Der ſterbende ein Feind aller vernuͤnfftigen Meinungen/ nichts an-ders/ als ein Krancker/ der die Bitterkeit ſeines Ge- ſchmacks den Speiſen zuſchreibet/ ſeine Unvollkom- menheit den beſten Beweiß-Gruͤnden beymaͤſſen/ ihnen gehaͤßig werden/ und ſich allen gewiſſen Er- kaͤntniß der Sachen entziehen ſolte. Sein falſcher Geiſt wil immer wancken/ Und fuſt auf nichts was er erkieſt/ Er folgt dem Gaumen bey dem Krancken/ Dem alles herb und bitter iſt. Mein Phaͤdon ſchaue wie die Sinnen/ Jch red in dieſem nicht zu ſcharff/ Gar bald verfuͤhret werden koͤnnen/ Und man den Artzt auch hier bedarff. Man findet tauſend tauſend Sachen Die in der Warheits Wage gehn/ Und da kein Menſch darff Zweiffel machen/ Daß ſie nicht im Gewichte ſtehn. Der Mangel aber der Gedancken/ Reiſt manche gute Sache ein; Dann wer begint nicht offt zu wancken? Drum trachte man recht klug zu ſeyn. Jch zwar den Vortheil zu genieſſen/ Und hinzugehn Vergnuͤgungs voll/ Und ihr/ damit ihr ſtets koͤnt wiſſen/ Wie man der Weißheit brauchen ſoll. Dann weil ich heute noch ſoll ſcheiden/ Und mich der bleiche Todt begruͤſt/ So wil ich dieſen Fuͤrwurff meiden/ Als liebt ich ungereimten Zwiſt. Wer
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Der ſterbende
ein Feind aller vernuͤnfftigen Meinungen/ nichts an-
ders/ als ein Krancker/ der die Bitterkeit ſeines Ge-
ſchmacks den Speiſen zuſchreibet/ ſeine Unvollkom-
menheit den beſten Beweiß-Gruͤnden beymaͤſſen/
ihnen gehaͤßig werden/ und ſich allen gewiſſen Er-
kaͤntniß der Sachen entziehen ſolte.
Sein falſcher Geiſt wil immer wancken/
Und fuſt auf nichts was er erkieſt/
Er folgt dem Gaumen bey dem Krancken/
Dem alles herb und bitter iſt.
Mein Phaͤdon ſchaue wie die Sinnen/
Jch red in dieſem nicht zu ſcharff/
Gar bald verfuͤhret werden koͤnnen/
Und man den Artzt auch hier bedarff.
Man findet tauſend tauſend Sachen
Die in der Warheits Wage gehn/
Und da kein Menſch darff Zweiffel machen/
Daß ſie nicht im Gewichte ſtehn.
Der Mangel aber der Gedancken/
Reiſt manche gute Sache ein;
Dann wer begint nicht offt zu wancken?
Drum trachte man recht klug zu ſeyn.
Jch zwar den Vortheil zu genieſſen/
Und hinzugehn Vergnuͤgungs voll/
Und ihr/ damit ihr ſtets koͤnt wiſſen/
Wie man der Weißheit brauchen ſoll.
Dann weil ich heute noch ſoll ſcheiden/
Und mich der bleiche Todt begruͤſt/
So wil ich dieſen Fuͤrwurff meiden/
Als liebt ich ungereimten Zwiſt.
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