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Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679.

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Der sterbende
Socrates,
Jch bitte auf meine Rede genau acht zu haben/
in dem euch/ wenn ihr mich gleich wol verstanden zu
haben vermeinen werdet/ dieses nicht wenig Ge-
dancken verursachen wird; warum denn solches
den Menschen so sehr verboten worden/ da wir doch
genugsam sehen/ daß es offt einen und den andern
besser ist zu sterben/ als länger zu leben.

Wann das Verhängniß wird gedrückt
Durch des Gelückes falsche Tücke/
Und unser Auge wird verrückt
Durch allzuheisse Sonnenblicke.
Wann wir erlernen aus der Pein/
Daß des Gestirnes falscher Schein
Nicht müde wird uns zu verderben.
Wann unser Geist uns stündlich plagt/
Und tausend Schrecken in uns jagt/
Darff man durch eigne Hand nicht sterben?
Was darff die Noth von fremden Händen
Jn künfftig seyn von mir gewand/
Wann heute noch mir meine Hand
Kan tausend Angst und Leiden enden.
Cebes sagte darauf lachende: ha/ ha/ Jupiter/ si-
he da die Gewonheit der Thebaner; dises scheinet
in Warheit (sprach Socrates) zimlich ungereimt
seyn/ und hat doch wol vielleicht seine Gründe. Denn
was von diesen Sachen in der Stille gehalten wird/
daß der Mensch/ nemlich in diesem Leben wie in ei-
nem Gefängnisse sey/ davon sich entbrechen/ und
selbst zu beweinen keinem vergünstiget wird/ ist
meinem Erachten nach zimlich hoch/ und sehr schwer
zu
Der ſterbende
Socrates,
Jch bitte auf meine Rede genau acht zu haben/
in dem euch/ wenn ihr mich gleich wol verſtanden zu
haben vermeinen werdet/ dieſes nicht wenig Ge-
dancken verurſachen wird; warum denn ſolches
den Menſchen ſo ſehr verboten worden/ da wir doch
genugſam ſehen/ daß es offt einen und den andern
beſſer iſt zu ſterben/ als laͤnger zu leben.

Wann das Verhaͤngniß wird gedruͤckt
Durch des Geluͤckes falſche Tuͤcke/
Und unſer Auge wird verruͤckt
Durch allzuheiſſe Sonnenblicke.
Wann wir erlernen aus der Pein/
Daß des Geſtirnes falſcher Schein
Nicht muͤde wird uns zu verderben.
Wann unſer Geiſt uns ſtuͤndlich plagt/
Und tauſend Schrecken in uns jagt/
Darff man durch eigne Hand nicht ſterben?
Was darff die Noth von fremden Haͤnden
Jn kuͤnfftig ſeyn von mir gewand/
Wann heute noch mir meine Hand
Kan tauſend Angſt und Leiden enden.
Cebes ſagte darauf lachende: ha/ ha/ Jupiter/ ſi-
he da die Gewonheit der Thebaner; diſes ſcheinet
in Warheit (ſprach Socrates) zimlich ungereimt
ſeyn/ und hat doch wol vielleicht ſeine Gruͤnde. Deñ
was von dieſen Sachen in der Stille gehalten wird/
daß der Menſch/ nemlich in dieſem Leben wie in ei-
nem Gefaͤngniſſe ſey/ davon ſich entbrechen/ und
ſelbſt zu beweinen keinem verguͤnſtiget wird/ iſt
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[10/0268] Der ſterbende Socrates, Jch bitte auf meine Rede genau acht zu haben/ in dem euch/ wenn ihr mich gleich wol verſtanden zu haben vermeinen werdet/ dieſes nicht wenig Ge- dancken verurſachen wird; warum denn ſolches den Menſchen ſo ſehr verboten worden/ da wir doch genugſam ſehen/ daß es offt einen und den andern beſſer iſt zu ſterben/ als laͤnger zu leben. Wann das Verhaͤngniß wird gedruͤckt Durch des Geluͤckes falſche Tuͤcke/ Und unſer Auge wird verruͤckt Durch allzuheiſſe Sonnenblicke. Wann wir erlernen aus der Pein/ Daß des Geſtirnes falſcher Schein Nicht muͤde wird uns zu verderben. Wann unſer Geiſt uns ſtuͤndlich plagt/ Und tauſend Schrecken in uns jagt/ Darff man durch eigne Hand nicht ſterben? Was darff die Noth von fremden Haͤnden Jn kuͤnfftig ſeyn von mir gewand/ Wann heute noch mir meine Hand Kan tauſend Angſt und Leiden enden. Cebes ſagte darauf lachende: ha/ ha/ Jupiter/ ſi- he da die Gewonheit der Thebaner; diſes ſcheinet in Warheit (ſprach Socrates) zimlich ungereimt ſeyn/ und hat doch wol vielleicht ſeine Gruͤnde. Deñ was von dieſen Sachen in der Stille gehalten wird/ daß der Menſch/ nemlich in dieſem Leben wie in ei- nem Gefaͤngniſſe ſey/ davon ſich entbrechen/ und ſelbſt zu beweinen keinem verguͤnſtiget wird/ iſt meinem Erachten nach zimlich hoch/ und ſehr ſchwer zu

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Zitationshilfe: Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Deutsche Ubersetzungen und Gedichte. Breslau, 1679, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannswaldau_uebersetzungen_1679/268>, abgerufen am 13.05.2024.